a) Wegfall der Geschäftsgrundlage
Rz. 35
Ausnahmsweise kommt in den Fällen des "Wegfalls der Geschäftsgrundlage" eine Anpassung des Abfindungsvergleiches dann in Betracht, wenn ein Festhalten an dem Abfindungsvergleich der benachteiligten Partei nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann.
Rz. 36
Voraussetzung ist, dass der Vergleich auf offenkundigen gemeinsamen oder zumindest erkennbaren und nicht beanstandeten tatsächlichen oder rechtlichen Vorstellungen einer Partei beruht, ohne dass jedoch ein Rechts- oder Tatsachenirrtum gegeben ist. Im Gegensatz zu der Regelung in § 779 BGB kann auch ein gemeinsamer Rechtsirrtum der vertragschließenden Parteien einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bewirken, wenn er auf eine unvorhersehbare Änderung der Rechtsprechung zurückzuführen ist (BGHZ 58, 355).
Rz. 37
Will der Geschädigte von einem solchen Abfindungsvergleich abweichen und Nachforderungen stellen, muss er also darlegen, dass ihm ein Festhalten an dem Vergleich nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist oder sich geändert hat, sodass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für den Geschädigten nach den gesamten Umständen des Falls eine ungewöhnliche Härte bedeuten würden (vgl. dazu BGH VersR 1961, 382 f.; BGH VersR 1983, 1034, 1035; BGH VersR 1990, 984; BGH DAR 2008, 333 ff. = zfs 2008, 441 ff.; siehe auch Anmerkung von Jaeger zu diesem Urteil, DAR 2008, 354 ff; OLG Düsseldorf zfs 2008, 140 ff.).
Rz. 38
Vereinbaren Parteien einen Abfindungsvergleich mit einer umfassenden Abgeltungsklausel, ist es eine Frage der Auslegung dieser Klausel, ob die Parteien auch unvorhergesehene und erst nach Vergleichsschluss eintretende Spätschäden einbeziehen wollten (BGH NJW 1957, 1395; BGH NJW 1984, 115). Häufig lässt der Wortlaut eine einschränkende Auslegung nicht zu, sodass grundsätzlich jede Nachforderung für unvorhergesehene Schäden ausgeschlossen ist (OLG Koblenz NJW 2004, 782).
Rz. 39
Auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sich der Geschädigte also nicht mehr mit Erfolg berufen, wenn durch den Abfindungsvergleich seine Schadensersatzansprüche endgültig erledigt und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigt werden sollten und wenn sich dies auch auf die der Nachforderung zugrunde liegende Schadensposition bezieht. Soweit der Geschädigte das Risiko in Kauf nimmt, dass die für die Berechnung des Ausgleichsbetrages maßgebenden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen und sie sich demgemäß unvorhersehbar positiv oder negativ verändern können, ist ihm die Berufung auf eine Veränderung der Vergleichsgrundlage verwehrt (vgl. BGH a.a.O.; Jahnke, Abfindung von Personenschadenansprüchen, 3. Auflage, § 2 Rn 10769 ff. m.w.N.; OLG Düsseldorf NZV 1995, 482; OLG Düsseldorf zfs 2008, 140 ff.).
Rz. 40
Kommt es bei dem Geschädigten nach Abschluss eines Vergleiches, durch welchen er auch für die Zukunft vorbehaltlos abgefunden werden soll, später zu Folgeschäden, wird die Fortgeltung des Vergleichs jedenfalls dann nicht beeinträchtigt, wenn die Möglichkeit solcher Schäden schon vor Vergleichsabschluss zu erkennen war.
Rz. 41
Ob und in welchem Umfang der Geschädigte das Risiko künftiger Veränderungen übernommen hat, ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarung zu ermitteln. Die Auslegung des Abfindungsvergleichs ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden ist. Hierbei hat die Auslegung vom Wortlaut auszugehen, aber auch den wirklichen Willen der Vertragschließenden zu erforschen (§ 133 BGB) und das Gebot einer für beide Seiten interessengerechten Auslegung zu beachten (BGH VersR 2002, 474 m.w.N.).
Rz. 42
Gehen die Vertragspartner einer Abfindungsvereinbarung davon aus, eine bestimmte Drittleistung, wie etwa eine aufgrund der unfallbedingten Frühpensionierung zustehende Pension, sei Bestandteil der dem Geschädigten unfallbedingt zufließenden Ausgleichsmittel, und muss der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer diese Leistungen sogar im Regresswege erstatten, so kann eine Risikoübernahme durch den Geschädigten unter Umständen durchaus fern liegen. Doch ist dies bei Abgabe einer umfassenden und vorbehaltlosen Abfindungserklärung ein Ausnahmefall, der konkreter Darlegung durch den Geschädigten bedarf (BGH DAR 2008, 333 ff.).
Rz. 43
In der Rspr. ist die Frage, welche Auswirkungen eine Änderung des Umfangs von Sozialleistungen im Hinblick auf eine umfassende Abfindungsvereinbarung hat, bisher nicht einheitlich beantwortet worden. Einerseits ist eine Störung der Geschäftsgrundlage bejaht worden, wenn die Vertragspartner eines Abfindungsverg...