Rz. 103
Die dreijährige Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB, § 14 StVG für deliktische Schadensersatzansprüche, damit auch für Schmerzensgeldansprüche, stellt auf die Kenntnis des Geschädigten ab. Damit begründet der Wortlaut dieser Bestimmungen den unzutreffenden Eindruck, als ob es auf den (subjektiv bestimmten) Kenntnisstand des Geschädigten ankäme (Diehl in einer Anmerkung zu Brandenbg. OLG in zfs 2007, 623).
Rz. 104
Das ist jedoch nicht der Fall. Zum einen würde eine solche Auslegung Nachweisschwierigkeiten für den Schädiger und seinen Haftpflichtversicherer begründen, da die Kenntnis eine innere Tatsache ist, deren Vorliegen nur mit einem schwierig zu führenden Indizienbeweis erbracht werden könnte (Diehl, a.a.O. m.H.a. BGH NJW 1981, 1562, 1563).
Rz. 105
Es ergibt sich vielmehr die Notwendigkeit der Objektivierung aus der Unteilbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs. Der im Rechtsstreit geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch erfasst alle diejenigen Schadensfolgen, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind, einschließlich der aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung objektiv vorhersehbaren künftig eintretenden Schadensfolgen (Diehl, a.a.O. m.H.a. BGH NJW-RR 2006, 712, 713; BGH VersR 2004, 1334, 1335; BGH VersR 2001, 876; Diederichsen, VersR 2005, 433, 439; von Gerlach, VersR 2000, 525, 530. Für den Lauf der Verjährungsfrist ist dieser Maßstab ebenfalls – außerhalb der gerichtlichen Geltendmachung – verbindlich, vgl. BGH NJW 2000, 861, 862).
Rz. 106
Wird damit auf den Kenntnisstand eines Sachkundigen abgestellt (vgl. hierzu BGH NJW-RR 2006, 712, 713; BGH VersR 1995, 471; OLG Köln zfs 1992, 82), bedeutet das für den Anwalt des Geschädigten zwingend, durch Befragung der den Geschädigten behandelnden Ärzte zu erfahren, mit welchen medizinisch nahe liegenden Komplikationen zu rechnen ist (vgl. Rinsche/Fahrenkopf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwaltes, 7. Aufl., Rn 1580). War die später aufgetretene Schadensfolge zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Schmerzensgeldbegehren noch nicht aus medizinischer Sicht nahe liegend, wird diese Schadensfolge auch nicht durch ein ergangenes Schmerzensgeldurteil abgegolten. Einer Nachforderung steht damit nicht die Rechtskraft des Schmerzensgeldurteils entgegen (Diehl, a.a.O. m.H.a. BGH NJW 1995, 1614).
Rz. 107
Gelangt der Gutachter zu der Feststellung, dass zum Zeitpunkt der für die Entscheidung im Vorprozess maßgeblichen letzten mündlichen Verhandlung die Wahrscheinlichkeit einer Verschlechterung des Leidens mindestens genauso groß gewesen ist wie die einer Besserung, steht die Rechtskraft einer Entscheidung im Erstprozess über das Schmerzensgeld ebenfalls nicht einer Nachforderung bei Auftreten einer Komplikation entgegen (OLG Stuttgart OLGR 1999, 349).
Rz. 108
Hier kommt es also nicht darauf an, dass der Geschädigte den gesamten Umfang seiner Ansprüche kennt. Es genügt die Kenntnis davon, dass ein – wie auch immer großer – Schaden eingetreten ist. Hinsichtlich der Folgeschäden reicht bloße Voraussehbarkeit aus.
Rz. 109
Lediglich bei nicht voraussehbaren gesundheitlichen Spätschäden gilt etwas anderes: Soweit diese von keinem Arzt vorausgesehen wurden und auch objektiv nicht voraussehbar waren, tritt der Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens und mithin der Verjährungsbeginn erst mit dem Auftreten dieser Spätschäden ein (BGH VersR 1966, 233; zfs 1995, 172).
Rz. 110
Ist eine Schadensfolge auch für Fachleute im Zeitpunkt der allgemeinen Kenntnis vom Schaden nicht vorhersehbar, wächst die Kenntnis dieser Schadensfolge jedoch in den beteiligten Fachkreisen heran, dann kommt es für den Beginn der Verjährung nicht darauf an, in welchem Zeitpunkt sich diese Kenntnis in den beteiligten Fachkreisen durchgesetzt hat. Vielmehr ist der Zeitpunkt entscheidend, in dem der Verletzte selbst von der Schadensfolge Kenntnis hat (BGH DAR 1997, 395; NJW 2000, 861; Brandenbg. OLG zfs 2007, 621).
Rz. 111
Tipp
Deshalb ist das eingangs Gesagte (§ 1 Rdn 176 ff.) so wichtig: Die umfangreiche Datensammlung ist erforderlich, um so bald wie möglich mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer in Korrespondenz zu treten, damit die Verjährung gehemmt wird. Gegebenenfalls muss der Anwalt (z.B. über die Polizei) die erforderlichen noch fehlenden Daten ermitteln.