1. Fristbeginn
Rz. 93
§ 199 BGB bestimmt für den Beginn der Frist:
Zitat
(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem
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der Anspruch entstanden ist und |
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der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. |
Rz. 94
Das bedeutet für die Fristberechnung:
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Nr. 1: Die Verjährung beginnt mit der Entstehung des Anspruches. Dieses Tatbestandsmerkmal wird im Sinne einer Fälligkeit verstanden. Allerdings beginnt im Deliktsrecht – wegen des Grundsatzes der Schadenseinheit – auch für zukünftig vorhersehbare Schäden (z.B. zukünftige Heilungskosten) die Verjährung schon mit dem Entstehen des Anspruches. |
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Nr. 2: Wie in § 852 BGB a.F. beginnt die Verjährungsfrist, wenn der Anspruchsteller positive Kenntnis erlangt hat. Es kommt darauf an, dass zumindest so viel Kenntnis vorhanden ist, dass eine Feststellungsklage mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (BGH NJW 2000, 1499 m.w.N.; zfs 2001, 156). Dies ist der Fall, wenn der Schaden zumindest dem Grunde nach eingetreten ist, dessen Umfang und Höhe aber noch ungewiss sind (BGHZ 100, 228, 231). |
Rz. 95
Vom Beginn der Verjährungsfrist kann unter Umständen selbst dann ausgegangen werden, wenn der Geschädigte den Schädiger zwar nicht positiv kennt, die Augen jedoch vor einer sich geradezu aufdrängenden Kenntnis regelrecht verschließt. Dann liegt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Geschädigten vor (BGH NZV 2001, 258). Anderes kann jedoch gelten, wenn der Geschädigte infolge einer durch die Verletzung erlittenen retrograden Amnesie keine Erinnerung an das Geschehen hat (BGH v. 22.6.1993 – VI ZR 190/92 – VersR 1993, 1121; BGH v. 4.12.2012 – VI ZR 217/11 – zfs 2013, 254).
Rz. 96
Voraussetzung des Verjährungsbeginns ist also die Kenntnis 1. der richtigen Person sowie von 2. dem Täter und 3. dem Schaden.
a) Kenntnis des "Richtigen"
Rz. 97
Bei Minderjährigen kommt es auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters an (BGH VersR 1989, 914 = NJW 1989, 2323; r+s 1998, 412). Das Wissen eines Elternteils reicht auch bei gemeinsamem Sorgerecht aus.
Rz. 98
Im Todesfall kommt es für die Ansprüche nach § 844 BGB auf die Kenntnis der Hinterbliebenen an. Dies gilt allerdings nur, wenn zum Zeitpunkt des Todes der Geschädigte noch keine Kenntnis hatte. Eine bereits in Gang gesetzte Verjährungsfrist läuft unabhängig vom Tod des Geschädigten zu Lasten des Rechtsnachfolgers weiter (BGH VersR 1984, 136, 137).
Rz. 99
Die Kenntnis des Rechtsanwaltes, der mit der Ermittlung betraut ist, wird dem Geschädigten zugerechnet (OLG Düsseldorf VersR 1999, 893; OLG Hamburg MDR 2001, 315; BGH VersR 1984, 160; 2001, 1255, 1256). Der Rechtsanwalt ist so genannter Wissensvertreter. Bei juristischen Personen ist die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters maßgebend. Bei Anspruchsübergang kommt es auf die Kenntnis des zuständigen Regressbediensteten an (BGH NJW 1996, 2508; bestätigend BGH v. 20.10.2011 – III ZR 252/10; BGH v. 17.4.2012 – VI ZR 108/11). Die Zurechnung des Wissens eines Sachbearbeiters setzt voraus, dass dieser mit der Betreuung und Verfolgung der in Frage stehenden Regressforderung in eigener Verantwortung betraut worden ist, sodass Kenntnisse aus einer vorangegangenen Bearbeitung des Regresses von Krankheitskosten nicht zu einer Verjährung von Regressansprüchen der Pflegekasse führen, wenn derselbe Sachbearbeiter erst später mit der Geltendmachung der Ansprüche aus der Pflegekasse betraut und damit zuständig wird (BGH v. 15.3.2011 – VI ZR 162/10 – VersR 2011, 682 = zfs 2011, 438). Vgl. dazu im Einzelnen unten § 12 Rdn 118 ff.
b) Kenntnis von der Person des Schädigers
Rz. 100
Die Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen liegt grundsätzlich vor, wenn der Geschädigte gegen eine bestimmte Person eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann. Diese Kenntnis setzt voraus, dass Name und Anschrift des Schädigers bekannt sind (BGH VersR 2001, 846). Nach bisherigem Recht (nur Kenntnis schadet) ist nur das rechtsmissbräuchliche "Sich-verschließen vor der Kenntnis" der Kenntnis gleichzustellen (Rechtsgedanke des § 162 BGB).
Rz. 101
Der Geschädigte darf allerdings nicht abwarten, bis ihm die Person des Schädigers mit vollständigem Namen und Adresse bekannt wird. Er hat vielmehr die Verpflichtung, sich danach zu erkundigen, wenn ihm z.B. jedenfalls das Kennzeichen des gegnerischen Fahrzeuges bekannt ist. Das gilt für jeden Schädiger gesondert, sodass auch die Verjährungsfristen unterschiedlich zu laufen beginnen können.
c) Umfang der Kenntnis
Rz. 102
Wie bereits ausgeführt worden ist, muss sich die Kenntnis nicht auf alle Einzelheiten des schadensbegründenden Ereignisses erstrecken, sondern es reicht ein Wissen "im Großen und Ganzen" aus (BGH VersR 1979, 1026, 1027). Die Kenntnis muss sich auf alle Tatsachen erstrecken, aus denen der Schadensersatzanspruch hergeleitet werden kann (BGH NZV 1990, 114). Eine zutreffende rechtliche Würdigung ist nicht erforderlich (BGH NJW 1996, 117, 118). Maßstab ist, ob die Erhebung ei...