I. Grundlagen
Rz. 61
Der "Streitwert" hat unterschiedliche Bedeutung. Als Zuständigkeitsstreitwert ist er maßgeblich für die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit zwischen Amts- und Landgericht; in WEG-Verfahren spielt dieser Gesichtspunkt wegen der streitwertunabhängigen Zuständigkeit des Amtsgerichts keine Rolle. Als Gebührenstreitwert ist er maßgeblich für die Berechnung der Gerichtskosten und der Rechtsanwaltsgebühren; darum geht es in diesem Abschnitt. Schließlich gibt es noch den Rechtsmittelstreitwert (oder Beschwerdewert bzw. Wert des Beschwerdegegenstandes), der für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgeblich ist (→ § 13 Rdn 90).
Rz. 62
Gem. § 61 GKG sind in der Klageschrift Angaben zum Streitwert zu machen, sofern nicht eine bestimmte Geldsumme eingeklagt wird. Das Amtsgericht kann (wiederum nur, sofern nicht eine bestimmte Geldsumme eingeklagt wird) nach Eingang der Klage den Streitwert durch Beschluss vorläufig festsetzen (§ 63 Abs. 1 GKG). Wenn eine Entscheidung über den Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt, setzt das Amtsgericht den Streitwert durch Beschluss fest (§ 63 Abs. 2 GKG). Eine zu niedrige Streitwertangabe in der Klage hat im Zweifel zwar eine gewisse Indizwirkung, ist letztlich aber unbeachtlich; der Streitwert ist unabhängig davon richtig festzusetzen. Die häufig anzutreffende Festsetzung nach Zeitabschnitten ist unzulässig. Gegen den (endgültigen, nicht gegen den vorläufigen) Streitwertbeschluss ist die Beschwerde statthaft (→ § 13 Rdn 85). Außerdem kann der Streitwert bei Einlegung einer Berufung vom Landgericht geändert werden (→ § 13 Rdn 102). Gem. § 40 GKG ist "für die Wertberechnung der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet." Wenn also bspw. ein Beschluss unbeschränkt angefochten wird, im Zuge der Begründung aber nur eine Teilungültigerklärung beantragt wird, sodass die Begründung hinter der Klageschrift zurückbleibt, wirkt sich dieser Umstand nicht auf den Streitwert aus, sondern führt zum Teilunterliegen des Klägers.
Rz. 63
Das "Interesse" wird nach den allgemeinen Wertvorschriften der §§ 3 – 9 ZPO ermittelt. Lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Schätzung finden, kann gem. § 23 Abs. 3 RVG ein Regelstreitwert von 5.000,00 EUR angesetzt werden. Maßgeblich ist – mit Ausnahme der Beschlussklagen – nur das Klägerinteresse.
Rz. 64
Für den Streitwert von Beschlussklagen (§ 44 Abs. 1 WEG) gilt eine Sonderregelung. Gem. § 49 S. 1 GKG ist der Streitwert im Ausgangspunkt auf das Interesse aller Wohnungseigentümer festzusetzen. Die im alten Recht gem. § 49a GKG a.F. geltende Begrenzung auf die Hälfte ist entfallen. § 49 GKG gilt für alle Klagen ab dem 1.12.2020 (Inkrafttreten der WEG-Reform 2020) sowie für Rechtsmittel, die nach diesem Zeitpunkt eingelegt wurden (§ 71 Abs. 1 S. 2 GKG). Nur für Rechtsmittel in Beschlussanfechtungsklagen, die am 1.12.2020 bereits anhängig waren, bleibt es bei der Anwendung des alten Rechts (§ 49a GKG a.F.).
Rz. 65
Gem. § 49 Abs. 1 S. 2 GKG gilt bei Beschlussklagen eine Begrenzung: der Streitwert darf das 7,5-fache des Interesses des Klägers bzw. den Verkehrswert seines Wohnungseigentums und der auf seiner Seite Beigetretenen nicht übersteigen. Gehören dem Kläger mehrere Einheiten oder gibt es mehrere Kläger, werden die Interessen der Kläger bzw. die Verkehrswerte der Einheiten addiert. Der Verkehrswert wird vom Gericht geschätzt; wer einen bestimmten Wertansatz verlangt, muss dem Gericht die für die Schätzung erforderliche Tatsachengrundlage unterbreiten. Auch bei Beschlussklagen ist das vermögensmäßige Interesse des Klägers maßgeblich, das somit dem bei Rechtsmitteln maßgeblichen Beschwerdewert (→ § 13 Rdn 91) entspricht. Dass das "wahre" Interesse des Klägers umfassender sein kann, weil er ein dem Gesamtinteresse entsprechendes Interesse an ordnungsgemäßer Verwaltung hat, wird nicht berücksichtigt. Die Anwendung dieser Grundsätze wird im folgenden Beispiel erläutert.
Rz. 66
Beispiel
In einer großen Gemeinschaft fielen im Jahr 2021 47.000,00 EUR Heizkosten an. Nach der Teilungserklärung sind die Heizkosten zu 50 % verbrauchsabhängig und zu 50 % verbrauchsunabhängig abzurechnen. In der Jahresabrechnung 2021 werden sie aber zu 70 % verbrauchsabhängig und zu 30 % verbrauchsunabhängig abgerechnet. Miteigentümer A hat nach seiner Einzelabrechnung einen Nachschuss von 200,00 EUR zu leisten; bei Zugrundelegung des richtigen Verteilerschlüssels müsste er 150,00 EUR weniger bezahlen. Er ficht den Beschluss über die Nachschüsse auf Basis der Jahresabrechnung 2021 deswegen an. – Anders als vor der WEG-Reform 2020 kommt es nach dem jetzigen Recht nicht mehr auf das Gesamtvolumen der Ausgaben, sondern auf die Summe der Abrechnungsspitzen an, wobei positive und negative Abrechnungsspitzen (also Nachschüsse bzw. Anpassung der Vorschüsse) zu addieren (nicht zu saldieren) sind. Ausschlaggebend ist aber die Begrenzung auf das 7,5-fa...