1. Materielle Rechtswidrigkeit eines Negativbeschlusses
Rz. 48
Ein Negativbeschluss liegt vor, wenn eine Abstimmung die Ablehnung eines Beschlussantrags zum Ergebnis hat. Die Wirkung eines Negativbeschlusses erschöpft sich in der Ablehnung des gestellten Antrages. "Aus der Ablehnung eines in der Eigentümerversammlung gestellten Antrags kann nicht auf den Willen der Wohnungseigentümer geschlossen werden, das Gegenteil des Antrags zu wollen". Der Negativbeschluss entfaltet deshalb grundsätzlich keine (materielle) Wirkung und somit keine Sperrwirkung für eine erneute Beschlussfassung über denselben Gegenstand. Der Antragsteller kann auch nach dem Eintritt der (formellen) Bestandskraft eines Negativbeschlusses seinen Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung geltend machen und ggf. gerichtlich durchsetzen.
Rz. 49
Weil der Negativbeschluss keine materielle Wirkung hat, gibt es genau genommen keinen Grund, ihn anzufechten, sodass es einer gleichwohl erfolgenden Anfechtung am Rechtsschutzbedürfnis fehlen müsste. In diesem Sinne wurde bis zum Jahr 2010 ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung eines Negativbeschlusses aus materiellen Gründen nur dann anerkannt, wenn der Kläger zugleich seinen Anspruch auf positive Beschlussfassung geltend machte. Von dieser Auffassung ist der BGH indes abgerückt. Nach dem BGH kann ein Negativbeschluss immer (isoliert oder in Kombination mit einer Beschlussersetzungsklage) angefochten werden. Der Kläger kann geltend machen, dass – ungeachtet der Einhaltung aller Formalien der Abstimmung – die Ablehnung eines von ihm gestellten Antrags ordnungsmäßiger Verwaltung widersprochen habe und der Negativbeschluss deshalb für ungültig zu erklären sei.
Rz. 50
Bei isolierter Anfechtung ist der rechtliche Maßstab für die Überprüfung eines Negativbeschlusses der Gleiche wie für den entsprechenden Anspruch auf positive Beschlussfassung: Die Ablehnung ist nur dann rechtswidrig, wenn i.S. einer "Ermessensreduzierung auf null" ein Anspruch auf Fassung gerade des konkret beantragten (positiven) Beschlusses bestand. Deshalb kann die Anfechtung nur dann erfolgreich sein, wenn auf den beantragten Beschluss nicht nur materiell ein Anspruch bestand, sondern ihm auch keine formellen Gründe (Unbestimmtheit usw.) entgegenstanden. Ein Negativbeschluss ist demnach rechtmäßig, wenn der entsprechende Positivbeschluss wegen Unbestimmtheit erfolgreich angefochten werden könnte.
Rz. 51
Die Fälle einer Ermessenreduzierung auf null sind selten, weshalb schon die ungewissen Erfolgsaussichten gegen die isolierte Anfechtung eines Negativbeschlusses sprechen. Und vor allem ist dem Antragsteller mit der Aufhebung des Negativbeschlusses allein nicht gedient, denn dadurch ist er seinem eigentlichen Ziel – der positiven Beschlussfassung – noch nicht viel näher gekommen. Dem Kläger ist deshalb nicht die isolierte Anfechtung eines Negativbeschlusses, sondern die Verbindung von Anfechtungs- und Beschlussersetzungsklage zu empfehlen (Muster → § 6 Rdn 52). Es stellt sich allenfalls die Frage, ob oder weshalb der Negativbeschluss überhaupt noch angefochten werden sollte, anstatt nur die Beschlussersetzungsklage zu erheben. Die Antwort lautet, dass die Anfechtung des Negativbeschlusses tatsächlich nur "sicherheitshalber" und vorsorglich zu empfehlen ist. Der Kläger müsste sonst befürchten, dass ihm das Gericht entgegenhält, gerade in seinem Fall entfalte der – unangefochtene und deshalb bestandskräftig gewordene – Negativbeschluss ausnahmsweise doch einmal eine materielle Bindungswirkung, was dem Anspruch auf positive Beschlussfassung entgegen stünde.
Rz. 52
Verbindet der Kläger die Anfechtung des Negativbeschlusses mit einer in das gerichtliche Ermessen gestellten Beschlussersetzungsklage, wird die Anfechtungsklage meistens nicht nach demselben strengen Maßstab beurteilt, der bei einer isolierten Anfechtung eines Negativbeschlusses angewandt wird. Das hat zur Folge, dass ein Negativbeschluss regelmäßig für ungültig erklärt wird, wenn die im Verbund erhobene Regelungsklage Erfolg hat, und zwar auch dann, wenn der im Wege der gerichtlichen Beschlussersetzung zustande gekommene Beschluss nicht genau denselben Inhalt wie der abgelehnte Antrag bzw. der Negativbeschluss hat. Kritik: Wenn auch feststeht, dass der Kläger Anspruch auf einen Beschluss hatte, so steht doch zugleich fest, dass er keinen Anspruch auf den Beschluss gerade mit dem von ihm beantragten (und von der Gemeinschaft abgelehnten) Inhalt hatte. Die Anfechtungsklage müsste abgewiesen werden. Ein Widerspruch zur Beschlussersetzung läge darin nicht, denn dem Negativbeschluss kommt keine Bindungswirkung zu, weshalb er auch dann bestehen bleiben kann, wenn zugleich per Gerichtsurteil eine positive Regelung in Geltung gesetzt wird.