Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 71
Nach § 2329 BGB ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegenüber dem Beschenkten geltend zu machen, wenn der Erbe selbst nicht verpflichtet ist. Dieser durchaus dehnbare Begriff, wann der Erbe nicht verpflichtet ist, führt in Rechtsprechung und Literatur zu erheblichen Streitigkeiten.
a) Unzureichender Nachlass
Rz. 72
Reicht der Nachlass zur Pflichtteilsergänzung nicht aus und haftet der Erbe nur beschränkt für den Nachlass (§§ 1975, 1990, 2060 BGB), dann ist nach Ansicht des BGH der Erbe nicht verpflichtet. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Nachlass von vornherein wertlos bzw. überschuldet ist. Nach Herzog soll hierbei zunächst geprüft werden, ob durch die Hinzurechnung der Schenkung überhaupt ein Aktivnachlass entstanden wäre. Ist dies nicht der Fall, so entfällt auch der Ergänzungsanspruch gegenüber dem Beschenkten. Beim pflichtteilsberechtigten Miterben wendet der BGH im Falle der Überschuldung des Nachlasses § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB analog an. Der BGH begründet dies damit, dass eine dem Alleinerben vergleichbare Lage vorliegt und der zu kurz gekommene Miterbe, der aufgrund der Schenkungen einen nur unzureichenden Nachlass erhalten hat, nicht schlechter gestellt werden kann als der Alleinerbe.
b) Einrede nach § 2328 BGB
Rz. 73
Der Miterbe ist nach § 2329 BGB auch dann nicht verpflichtet, wenn ihm die Einrede nach § 2328 BGB wegen seines eigenen Pflichtteilsergänzungsanspruchs zusteht. Problematisch ist allerdings die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn der Erbe die Einrede nach § 2328 BGB nicht geltend gemacht hat (was auch für die Beschränkung der Erbenhaftung nach §§ 1990, 1991 Abs. 4 BGB gilt). Hier stellt sich die Frage, ob der Beschenkte erst in Anspruch genommen werden kann, wenn der Erbe die Einrede auch erhoben hat. Teilweise wird im Schrifttum die Meinung vertreten, dass das bloße Bestehen der Einrede für eine Durchgriffshaftung gegenüber dem Beschenkten nicht ausreicht. Die Gegenansicht lässt dagegen eine Durchgriffshaftung gegen den Beschenkten dann zu, wenn die Voraussetzungen der Einrede des § 2328 BGB vorliegen, ohne dass es einer expliziten Geltendmachung bedarf. Wie Herzog richtig darauf hinweist, ist die Frage eher von geringer praktischer Bedeutung, da der BGH, zumindest in dem Fall, in dem der pflichtteilsberechtigte Miterbe direkt gegen den Beschenkten vorgegangen ist, eine Geltendmachung der Einrede unterstellte.
c) Pflichtteilsberechtigter Alleinerbe
Rz. 74
Nach § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB kann der pflichtteilsberechtige Alleinerbe direkt gegen den Beschenkten vorgehen, wenn ihm unter Berücksichtigung des § 2326 BGB ein Ergänzungsanspruch zusteht.
d) Zahlungsunfähigkeit des Erben
Rz. 75
Höchst umstritten und in der Rechtsprechung bislang nicht entschieden ist die Frage, ob der Pflichtteilsanspruch gegenüber dem Beschenkten geltend gemacht werden kann, wenn ein an sich verpflichteter und unbeschränkt haftender Erbe zahlungsunfähig ist. Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum verneint in einem solchen Fall die subsidiäre Haftung des Beschenkten mit der Begründung, dass sich aus dem Gesetz nicht entnehmen lasse, dass der Beschenkte auch das Insolvenzrisiko zu tragen habe und dass derartige in der Person des Erben liegende Umstände seine Verpflichtung i.S.d. § 2329 BGB nicht entfallen lassen. Kipp/Coing und v. Olshausen bejahen hingegen einen Durchgriff auf den Beschenkte für den Fall, dass der eigentlich verpflichtete Erbe zahlungsunfähig ist, mit der Begründung, dass der Wortlaut des § 2329 BGB "nicht verpflichtet" nicht im technischen Sinne zu verstehen ist und dass es der Natur der Sache entspreche, dass dem Pflichtteilsergänzungsberechtigten nicht das Insolvenzrisiko auferlegt werden kann. Die vom Gesetzgeber nicht gesehene Lücke kann daher nicht zu Lasten des Ergänzungsberechtigten gehen.
e) Keine Einrede nach § 2328 BGB gegen den nachehelichen Unterhaltsanspruch
Rz. 76
Nach § 1586b BGB erlischt der nacheheliche Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehepartners nicht mit dem Tod des Unterhaltsschuldners. Der Unterhaltsanspruch stellt eine Nachlassverbindlichkeit dar, allerdings der Höhe nach begrenzt auf den Pflichtteilsanspruch, den der geschiedene Ehepartner gehabt hätte, wenn er nicht geschieden worden wäre (§ 1586b Abs. 1 S. 3 BGB). Für die Höhe der Haftungsgrenze ist ein eventueller Pflichtteilsergänzungsanspruch mit einzuberechnen. Gegenüber dem Unterhaltsgläubiger können die Erben auch nicht die Einrede nach § 2328 BGB erheben.