Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 145
Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs ist die Offenlegung der für den Pflichtteilsanspruch notwendigen Berechnungsfaktoren. Der Auskunftsschuldner ist danach verpflichtet, Auskunft über sämtliche Aktiva und Passiva des Nachlasses durch Vorlage eines Nachlassverzeichnisses zu erteilen. Auskunftsschuldner sind alle Erben als Gesamtschuldner.
Rz. 146
Dabei beschränkt sich die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht nur auf den zum Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich vorhandenen Nachlass, sondern erstreckt sich auch auf die zu Lebzeiten getätigten Schenkungen (fiktiver Nachlass). Für den Fall, dass der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Erbfall eine Schenkung getätigt hat, ist diese im Nachlassverzeichnis mit anzugeben. Gleiches gilt für Schenkungen an den Ehegatten, und zwar auch dann, wenn sie außerhalb der Zehn-Jahres-Frist erfolgten. Den Auskunftsverpflichteten trifft eine Ermittlungspflicht, wenn der Verdacht besteht, dass der Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen getätigt hat. Der Pflichtteilsberechtigte muss keine konkreten Anhaltspunkte für mögliche Schenkungen machen. Er ist dann verpflichtet, von seinem Auskunftsrecht gegenüber den Banken Gebrauch zu machen, um eventuelle Zuwendungsempfänger zu ermitteln und Einsicht in die Kontounterlagen zu nehmen.
Rz. 147
Erfolgten Zuwendungen in Form einer gemischten Schenkung, erstreckt sich die Auskunft auch auf alle Vertragsbedingungen, die für die Beurteilung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs maßgeblich sind. Erfolgten Schenkungen an einen Dritten, so umfasst der Auskunftsanspruch auch die Benennung der beschenkten Person. Ebenso sind auch Anstands- und Pflichtschenkungen i.S.d. § 2330 BGB anzugeben. Ferner trifft den Erben auch eine Auskunftspflicht darüber, in welchem Güterstand der Erblasser gelebt hat.
Rz. 148
Nach bzw. losgelöst von der vorherigen Vorlage eines privaten Bestandsverzeichnisses, kann der Pflichtteilsberechtigte die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 S. 3 BGB) verlangen. Den zu beauftragenden Notar wählt der Erbe aus und hat ihn von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten zu entbinden. Die Erteilung eines eingeschränkten Auftrags an den Notar (z.B. auf den fiktiven Nachlass) ist im Einvernehmen mit dem Pflichtteilsberechtigten zulässig. Der Erbe ist gegenüber dem beauftragten Notar zur Mitwirkung verpflichtet; er hat diesem sämtliche Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Der Erbe kann sich gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten nicht dahingehend exkulpieren, der Notar komme seinem Auftrag zur Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses nicht nach. Vielmehr hat der Erbe den Notar in diesem Fall umgehend anzuhalten, den erteilten Auftrag zu erledigen. Lehnt der beauftragte Notar den Auftrag zur Aufnahme des Verzeichnisses entgegen § 15 Abs. 1 BNotO ab, kann der Pflichtteilsberechtigte eine Untätigkeitsbeschwerde gemäß § 15 Abs. 2 BNotO beim Landgericht erheben, wodurch er in einem späteren Zwangsmittelverfahren nachweisen kann, dass er nicht untätig war. Ein angemessener Zeitraum für die Erstellung und Ermittlungstätigkeiten des Notars soll drei bis vier Monate betragen. Die teilweise unzutreffende Einschätzung, in der Regel sei ein deutlich größerer Zeitraum zu gewähren, ist abzulehnen und erscheint nur bei außergewöhnlich aufwendigen Ermittlungstätigkeiten und Unterlagenprüfungen angemessen. Dem notariellen Nachlassverzeichnis kommt grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu, da die Erstellung mit einer größeren Richtigkeitsgewähr einhergeht. Der Notar darf sich nicht auf die Beurkundung von Erklärungen des Auskunftspflichtigen beschränken; vielmehr muss er den Nachlass "selbst und eigenständig" ermitteln und das Verzeichnis selber erstellen. Die Rechtsprechung stellt – soll durch ein notarielles Verzeichnis mit höherer Richtigkeitsgewähr die Beweisnot des Pflichtteilsberechtigten doch gelindert werden – völlig zurecht hohe Anforderungen an die Pflichten der Notare. Bei der Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses kommt der Ermittlung von pflichtteilsergänzungsrelevanten Schenkungen und ehebedingten Zuwendungen die mit Abstand größte Bedeutung zu, auf welche regelmäßig auch der größte Zeitaufwand entfällt. Je mehr Ermittlungsansätze dem Notar durch den Pflichtteilsberechtigten an die Hand gegeben werden, desto weniger kann der beauftragte Notar auf Ermittlungen verzichten. Nach überzeugender Auffassung muss der Pflichtteilsberechtigte für entsprechende Ermittlungen auch keine Verdachtsmomente vortragen bzw. solche vorlegen. Jedenfalls drängt es sich auf, Einsicht in die vollständigen Kontoauszüge des Erblassers für einen Zeitraum von zehn Jahren zu nehmen. War ein Erblasser an Gesellschaften beteiligt, sollte der Notar hierauf unbedingt hingewiesen werden. Denn gerade über Gesellschafterkonten können mittel...