Dr. iur. Nikolas Hölscher
a) Wegfall des Pflichtteilsberechtigten
Rz. 306
Im Falle des § 2309 BGB beginnt die Verjährungsfrist des Pflichtteils entfernter Abkömmlinge und der Eltern erst dann zu laufen, wenn der Pflichtteilsberechtigte neben den oben dargestellten Informationen auch Kenntnis vom Wegfall des vorberufenen Pflichtteilsberechtigten erlangt hat. Der Grund hierfür ergibt sich bereits aus der praktischen Überlegung, dass der entferntere Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch erst dann geltend machen kann, wenn der zuvor Pflichtteilsberechtigte nach § 2309 BGB entfällt. Solange der entfernte Pflichtteilsberechtigte hiervon nichts weiß, kann von ihm auch nicht verlangt werden, dass er einen eventuell ihm zustehenden Pflichtteilsanspruch "ins Blaue hinein" anfordert. An einer solchen Kenntnis vom Wegfall des zunächst Berechtigten fehlt es nach Ansicht des RG, wenn der entferntere Berechtigte annimmt, dass eine wirksame Pflichtteilsentziehung seitens des Erblassers nicht vorgelegen hat.
b) Verjährung beim minderjährigen Pflichtteilsberechtigten
Rz. 307
Für den Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt des Erbfalls noch minderjährig ist, ist zu unterscheiden, ob der Pflichtteilsanspruch gegenüber dem überlebenden Elternteil geltend zu machen ist oder gegenüber einem Dritten. Ist der überlebende Elternteil Pflichtteilsschuldner, dann beginnt die dreijährige Verjährungsfrist des Pflichtteilsanspruchs nicht vor der Vollendung des 21. Lebensjahres des Abkömmlings zu laufen (§ 207 BGB).
Rz. 308
Schwieriger gestaltet sich die Situation, wenn der Erblasser einen minderjährigen Abkömmling enterbt und den anderen minderjährigen Abkömmling zum Erben eingesetzt hat. Der überlebende Ehepartner, dem dann nach § 1629 BGB die elterliche Sorge für beide Abkömmlinge zusteht, kann nach §§ 1629 Abs. 2, 1824 BGB den Pflichtteilsanspruch des enterbten Abkömmlings nicht gegenüber dem anderen Abkömmling geltend machen. Wird in einem solchen Fall für den enterbten Abkömmling keine Zuwendungspflegschaft nach § 1811 Abs. 1 BGB angeordnet, tritt die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs während der Dauer der Minderjährigkeit nicht ein (§ 210 Abs. 1 BGB). Aufgrund sogenannter Ablaufhemmung tritt die Verjährung erst sechs Monate nach Eintritt der Volljährigkeit ein. Die Vorschrift des § 207 Abs. 1 Nr. 2 BGB greift bei der vorliegenden Konstellation nicht ein.
c) Unter Betreuung stehender Pflichtteilsberechtigte
Rz. 309
Ist der Pflichtteilsberechtigte geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so ist die Kenntnis seines gesetzlichen Vertreters maßgeblich. Umstritten ist die Frage der Kenntniserlangung beim geschäftsfähigen Betreuten. Nach h.M. kommt es auf die Kenntnis des Betreuers an, und zwar, soweit die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen in seinen Aufgabenbereich fällt (siehe Rdn 111).
d) Pflichtteilsberechtigter Miterbe
Rz. 310
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2329 BGB unterliegt auch dann der "direkten" Verjährung des § 2332 BGB, wenn der Beschenkte zugleich Erbe oder Miterbe ist. Dem beschenkten Miterben wird insoweit ein ebenso schutzwürdiges Interesse am Erhalt des zugewendeten Gegenstands zugesprochen wie einem außenstehenden Dritten.
e) Irrtum des Pflichtteilsberechtigten über den Pflichtteilsanspruch
Rz. 311
Schwierig, insbesondere vor dem Hintergrund der Beweisbarkeit, ist die Situation, wenn sich der Pflichtteilsberechtigte in einem tatsächlichen oder rechtlichen Irrtum darüber befand, dass die beeinträchtigende Verfügung unwirksam sei. In einem solchen Fall wird davon ausgegangen, dass die für den Fristbeginn notwendige Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung nicht vorliegt. Dies gilt zumindest dann, wenn die vorgetragenen Bedenken gegen die Wirksamkeit der beeinträchtigenden Verfügung "nicht ganz von der Hand zu weisen" sind. Kann der Pflichtteilsberechtigte hingegen aus dem Inhalt der letztwilligen bzw. der ihn beeinträchtigenden Verfügung entnehmen, dass er grundsätzlich Pflichtteilsansprüche geltend machen könnte, dann führt eine solche unrichtige Rechtsauffassung oder Auslegung nicht dazu, dass der Verjährungsbeginn hinausgeschoben wird.