Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 299
Die anspruchsbegründenden Umstände liegen vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich positive Kenntnis über die ihn beeinträchtigende letztwillige oder lebzeitige Verfügung erlangt. Dies setzt im Einzelnen eine wesentliche Kenntnis des Inhalts der beeinträchtigenden Verfügung voraus. Der Berechtigte muss danach insbesondere erkannt haben, dass er durch die Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Voraussetzung ist aber nicht, dass eine detaillierte Prüfung des Inhalts der letztwilligen Verfügung erfolgt. Ferner ist es auch unerheblich, ob der Pflichtteilsberechtigte die rechtliche Natur der Verfügung fehlerfrei bestimmen kann. Der Pflichtteilsberechtigte muss sich auch nicht unbedingt selbst ein Bild von der ihn beeinträchtigenden Verfügung gemacht haben. Es reicht auch aus, wenn er von dem wesentlichen Inhalt der Verfügung mündlich erfährt, abgesehen von der damit verbundenen Beweisschwierigkeit.
Rz. 300
Erfolgt die Beeinträchtigung des Pflichtteilsberechtigten allein durch eine Verfügung von Todes wegen, so stellt diese Verfügung die Beeinträchtigung dar, auf die sich die Kenntnis beziehen muss. Liegen mehrere sich widersprechende letztwillige Verfügungen vor und erlangt der Pflichtteilsberechtigte zunächst Kenntnis über die ihn enterbende Verfügung von Todes wegen und erlangt er später Kenntnis von einer weiteren Verfügung von Todes wegen, die ihn nicht enterbt, entfällt damit die Kenntnis und die bislang abgelaufene Verjährungszeit gilt als nicht abgelaufen. Handelt es sich bei der den Pflichtteilsberechtigten beeinträchtigenden Verfügung um eine lebzeitige Schenkung, hat sich die Kenntnis grundsätzlich hierauf zu beziehen. Bei mehreren unentgeltlichen Zuwendungen beginnt die Frist z.B. unterschiedlich zu laufen, wenn der Pflichtteilsberechtigte zu unterschiedlichen Zeitpunkten über die Schenkung erfährt.
Rz. 301
Hinzu kommt, dass der Pflichtteilsberechtigte nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch Kenntnis von der Person des Schuldners haben muss.
Rz. 302
Praxishinweis
Fraglich ist, ob für den Verjährungsbeginn nicht nur die Stellung als Pflichtteilsberechtigter und die Kenntnis von der enterbenden Verfügung notwendig sind, sondern darüber hinaus auch Kenntnisse über Bestand und Wert des Nachlasses. Nach h.M. beginnt der Lauf der Verjährungsfrist nämlich erst dann, wenn der Gläubiger von einem Sachverhalt erfährt, der erhebliche Anhaltspunkte für die Entstehung eines Anspruchs gebietet, bzw. von jenen Tatsachen, aus denen der Anspruch herzuleiten ist. Für den Pflichtteilsanspruch ist dies problematisch. Hat der Pflichtteilsberechtigte allerdings Kenntnis von seiner Stellung als Pflichtteilsberechtigter, so ist für den Anspruch irrelevant, wie hoch der Anspruch auf den Pflichtteil ist. Es kommt für den Beginn der Regelverjährung grundsätzlich nicht darauf an, ob der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis von Zusammensetzung und Wert des Nachlasses hat.