Dr. iur. Nikolas Hölscher
aa) Allgemeines
Rz. 53
Der Erbe haftet im Außenverhältnis gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten für den Pflichtteilsanspruch (siehe Rdn 45 ff.). Hiervon kann der Erblasser auch nach § 2324 BGB keine für das Außenverhältnis abweichende Regelung treffen. Für die Verteilung der Pflichtteilslast zwischen den Erben, Vermächtnisnehmern und den Auflagebegünstigten gelten im Innenverhältnis die Vorschriften der §§ 2318 bis 2323 BGB. Diese betreffen – mit Ausnahme der Einrede nach § 2319 BGB – nur das Innenverhältnis der beteiligten Begünstigten. Sie kommen ferner nur zur Anwendung, wenn der Erblasser von der Vorschrift des § 2318 Abs. 1 BGB und der §§ 2320 bis 2323 BGB keine abweichende Anordnung getroffen hat (§ 2324 BGB). Nicht abdingbar ist allerdings die Vorschrift des § 2318 Abs. 2 und 3 BGB, ebenso wenig § 2319 S. 1 BGB.
bb) Kürzungsrecht nach § 2318 Abs. 1 BGB
Rz. 54
Nach § 2318 Abs. 1 BGB haben Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigte entsprechend dem Wert ihrer Zuwendung zum Gesamtnachlass im Innenverhältnis zum Erben die Pflichtteilslast mitzutragen. Rein rechnerisch erfolgt dies durch sog. Kürzung des Vermächtnisanspruchs bzw. des Auflagenverlangens.
Rz. 55
Die Höhe des Kürzungsrechts bestimmt sich grundsätzlich nach der wertmäßigen Beteiligung des Vermächtnisnehmers oder Auflagebegünstigen am Gesamtnachlass. Erhält der Vermächtnisnehmer rein rechnerisch gesehen 50 % vom Nachlass, so hat er auch grundsätzlich 50 % des Pflichtteilsanspruchs zu tragen (zur Berechnung und zur Formel für den Kürzungsbetrag siehe § 2 Rdn 53). Im Rahmen des Pflichtteilsprozesses, in dem der Pflichtteilsberechtigte den Erben auf Zahlung des Pflichtteils in Anspruch nimmt, ist es daher sinnvoll, dem Vermächtnisnehmer und/oder Auflagebegünstigten den Streit zu verkünden (§§ 72 ff. ZPO). Hat der Erbe es zunächst unterlassen, den Vermächtnisanspruch oder die Zuwendung an den Auflagebegünstigten zu kürzen, kann er nach § 813 BGB das zuviel Geleistete zurückfordern.
Rz. 56
Beweisschwierigkeiten treten in der Praxis insbesondere bei der Bestimmung der Höhe des Kürzungsbetrages auf, wenn sich im Nachlass Immobilien befinden oder sog. Nutzungsrechte (Wohnrecht, Nießbrauch) bewertet werden müssen. Die Beweislast hierfür trifft i.d.R. den Erben, der den Kürzungsbetrag gegenüber dem Vermächtnisnehmer oder Auflagebegünstigten einwendet.
cc) Eingeschränktes Kürzungsrecht nach § 2318 Abs. 2 BGB
Rz. 57
Ist der Vermächtnisnehmer jedoch selbst pflichtteilsberechtigt, so wird das Kürzungsrecht nach § 2318 Abs. 1 BGB durch die Regelung des § 2318 Abs. 2 BGB eingeschränkt. Eine Kürzung des Vermächtnisanspruchs kann danach nur soweit erfolgen, dass dem Vermächtnisnehmer sein Pflichtteilsanspruch verbleibt. Wie sich aus § 2324 BGB ergibt, kann der Erblasser dies auch nicht durch letztwillige Verfügung ändern.
Rz. 58
Die Beweislast hinsichtlich des Umfangs und Bestehens des Pflichtteilsanspruchs trägt der Vermächtnisnehmer, der Rechte aus § 2318 Abs. 2 BGB herleitet.
Rz. 59
Erhält der im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratete Ehegatte einen Vermächtnisanspruch, so ist hinsichtlich der Feststellung des nicht kürzbaren Bereichs von dem sog. erhöhten Erbteil bzw. vom sog. großen Pflichtteil auszugehen.
dd) Erweitertes Kürzungsrecht nach § 2318 Abs. 3 BGB
Rz. 60
Praktische Probleme bereitet das sog. erweiterte Kürzungsrecht nach § 2318 Abs. 3 BGB. Dem reinen Wortlaut nach liest sich die Vorschrift so, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe Vermächtnisse und Auflagen soweit kürzen kann, dass ihm sein eigener Pflichtteilsanspruch verbleibt. Allerdings ist zu beachten, dass dies nur in Ansehung einer weiteren Pflichtteilslast ("wegen der Pflichtteilslast") gilt. Die Vorschrift gibt dem pflichtteilsberechtigten Erben also kein allgemeines Verteidigungsrecht gegen Vermächtnisse oder Auflagen. Beeinträchtigt daher nur das Vermächtnis selbst den Pflichtteil des Erben, greift nach h.M. das erweiterte Kürzungsrecht des § 2318 Abs. 3 BGB nicht ein. In einem solchen Fall ist der Erbe nach § 2306 Abs. 1 BGB vielmehr angehalten, den Erbteil auszuschlagen, um seinen Pflichtteilsanspruch in voller Höhe geltend machen zu können. Tut er dies nicht, hat er auch auf Kosten seines eigenen Pflichtteils den Vermächtnisanspruch voll zu erfüllen.
Rz. 61
Praxishinweis
Der leicht misszuverstehende Wortlaut des § 2318 Abs. 3 BGB ist eine tückische Haftungsfalle.