Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Wertermittlungsanspruch gegenüber dem Erben
Rz. 186
Damit sich der Pflichtteilsberechtigte ein umfassendes Bild über den Wert des Nachlasses machen kann, steht ihm neben dem Auskunftsanspruch nach § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB auch ein Anspruch auf Wertermittlung bezüglich der Nachlassgegenstände zu (zum Wertermittlungsanspruch siehe § 9 Rdn 89 ff.). Der Anspruch auf Wertermittlung nach § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB ist vom Auskunftsanspruch nach § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB zu unterscheiden. Der Wertermittlungsanspruch setzt voraus, dass zunächst die Zugehörigkeit eines Gegenstands zum – realen oder fiktiven – Nachlass nachgewiesen ist. Die Erfüllung des Wertermittlungsanspruchs erfolgt daher grundsätzlich durch die Vorlage der für die Wertberechnung maßgebenden Unterlagen. Der Erbe ist verpflichtet, alle Unterlagen, die für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs erforderlich sind, dem Gläubiger vorzulegen.
Rz. 187
Ist es dem Pflichtteilsberechtigten nicht möglich, anhand der Unterlagen den Wert des Nachlassgegenstands zu ermitteln, steht ihm ein Anspruch auf Erstellung eines Gutachtens eines unparteiischen Sachverständigen zu. Der Wertermittlungsanspruch umfasst allerdings nicht das Recht auf Vorlage eines Gutachtens eines "öffentlich bestellten und vereidigten" Sachverständigen, da die öffentliche Vereidigung ohne Einfluss auf Qualifikation und Unabhängigkeit des Sachverständigen ist. Da der Erbe die Wertermittlung nicht nur zu dulden, sondern selbst vorzunehmen hat, ist er selbst verpflichtet, das Gutachten erstellen zu lassen.
Rz. 188
Die Bewertung von Nachlassgegenständen, die innerhalb von bis zu fünf Jahren nach dem Erbfall veräußert wurden, orientiert sich – soweit nicht außergewöhnliche Verhältnisse vorliegen – am tatsächlich erzielten Verkaufspreis. Dies soll unabhängig davon gelten, ob die Gegenstände zu einem Preis veräußert werden, der über oder unter dem durch einen Sachverständigen ermittelten Schätzwert liegen. Nach Auffassung des OLG Frankfurt hat der Pflichtteilsberechtigte allerdings auch bei Vorliegen eines Kaufvertrages einen Anspruch auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Wert eines Hausgrundstücks, weil der Kaufvertrag und die Schätzung eines Maklers für eine sachgerechte Bewertung des Objekts allein nicht ausreichend sein sollen. Dieser Auffassung hat sich der BGH zwischenzeitlich angeschlossen und bejaht den Anspruch auf Vorlage eines Gutachtens auch nach einem Verkauf nach dem Erbfall. Beruft sich der Pflichtteilsberechtigte auf einen nach dem Stichtag erzielten Veräußerungserlös hat er hinreichend substantiiert darzulegen, dass sich die Marktverhältnisse im Wesentlichen nicht verändert haben.
Rz. 189
Damit der Anspruch aus § 2314 BGB erfüllt wird, muss der Sachverständige in seinem Gutachten alle Kriterien erfüllen, die notwendigerweise an die Sachverständigentätigkeit gestellt werden. Hierzu zählen insbesondere die Abwägung zwischen den verschiedenen Bewertungsverfahren und die Begründung, warum sich der Sachverständige für eine Bewertungsmethode entschieden hat.
Rz. 190
Bei Ermittlung des Werts eines mit denkmalgeschützten Gebäuden bebauten Grundstücks im Rahmen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs begegnet es nach Auffassung des LG Wiesbaden keinen Bedenken, wenn der Gutachter vom Bodenwert einen Abschlag von 10 % vornimmt und gleichzeitig einen Wertabschlag für Sanierungskosten im Jahre der Grundstücksübertragung abzieht. Zwar betreffen Denkmalschutzauflagen in erster Linie den Wert der Gebäude. Sie sind aber bereits aufgrund des Umstands, dass ein mit einem denkmalgeschützten Gebäude bebautes Grundstück nicht ohne weiteres von diesem "frei gemacht" werden kann, auch beim Bodenwert zu berücksichtigen. Denn Bodenrichtwerte berücksichtigen nur die flächenhaften Auswirkungen des Denkmalschutzes, nicht aber das Merkmal Denkmalschutz eines Einzelgrundstücks.