Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Allgemeines
Rz. 65
Ein in der Praxis häufig auftretender Irrtum ist, dass der außerordentliche Pflichtteilsanspruch bzw. der Pflichtteilsergänzungsanspruch direkt gegenüber dem Beschenkten geltend gemacht wird. Dem Irrtum liegt wohl der Gedanke zugrunde, dass derjenige, der seitens des Erblassers eine Schenkung erhalten hat, auch für etwaige daraus resultierende Pflichtteilsforderungen einzustehen hat. Es ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass der Erbe Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten und damit auch Schuldner des ordentlichen und außerordentlichen Pflichtteilsanspruchs ist (vgl. Rdn 45 ff.). Der Beschenkte selbst haftet nur dann für den Pflichtteilsergänzungsanspruch, wenn der Erbe nach § 2329 BGB selbst nicht verpflichtet ist. Nur in einem solchen Fall kann direkt gegen den Beschenkten vorgegangen werden.
Rz. 66
Hierbei ist der Unterschied zu beachten, dass der Ergänzungsanspruch nach § 2329 BGB im Verhältnis zum Anspruch gegenüber dem Erben nur bereicherungsrechtlicher Natur ist. So haftet der Beschenkte nach § 818 Abs. 3 BGB nicht mehr, wenn er entreichert ist. Hat der Beschenkte selbst den Gegenstand einem Dritten unentgeltlich übertragen, so haftet der neue Beschenkte nach der Vorschrift des § 822 BGB. Dies gilt auch dann, wenn die Weitergabe vor dem Eintritt des Erbfalls erfolgte.
Rz. 67
Nach h.M. haben im Rahmen des § 2329 BGB der Klageantrag und die Verurteilung daher (unter Bezifferung des geforderten Betrages) auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den verschenkten Gegenstand zu lauten. Handelt es sich um eine Geldschenkung, kann der Pflichtteilsergänzungsberechtigte direkt auf Zahlung klagen und vollstrecken. Nach § 2329 Abs. 2 BGB kann der Beschenkte die Herausgabe des geschenkten Gegenstands zum Zwecke der Duldung der Zwangsvollstreckung durch Zahlung des fehlenden Betrages abwenden. Eine Zahlungsverpflichtung besteht jedoch nicht. Das Entscheidungsrecht, ob der Beschenkte von dieser Ersetzungsbefugnis Gebrauch macht, obliegt ihm allein.
Rz. 68
Der Anspruch nach § 2329 BGB ist grundsätzlich gegenüber dem Anspruch nach § 2325 BGB subsidiär und unterliegt auch einer unterschiedlichen Verjährung (vgl. Rdn 303).
Rz. 69
Ist der Erbe selbst Beschenkter und wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB nur teilweise erfüllt, haftet er bezüglich des restlichen Teils nach § 2329 BGB. Die Einrede des § 2328 BGB steht dem Beschenkten für den Fall, dass er selbst pflichtteilsberechtigt ist, ebenso wie dem pflichtteilsberechtigten Erben zu.
Rz. 70
Übersicht: Unterschiede zwischen dem Ergänzungsanspruch gegenüber dem Erben und dem Beschenkten
Anspruch nach § 2325 BGB |
Anspruch nach § 2329 BGB |
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben unterliegt der Stundungsmöglichkeit nach § 2331a BGB. |
Der Pflichtteilsanspruch gegen den Beschenkten nicht. |
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben ist Nachlassverbindlichkeit. |
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegenüber dem Beschenkten nach § 2329 BGB nicht. |
Beim Anspruch nach § 2325 BGB hat der Erbe die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung nach § 780 ZPO. |
Beim Anspruch gegen den Beschenkten nach § 2329 BGB geht dies nicht. |
2. Ergänzungshaftung gegenüber dem Beschenkten
Rz. 71
Nach § 2329 BGB ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegenüber dem Beschenkten geltend zu machen, wenn der Erbe selbst nicht verpflichtet ist. Dieser durchaus dehnbare Begriff, wann der Erbe nicht verpflichtet ist, führt in Rechtsprechung und Literatur zu erheblichen Streitigkeiten.
a) Unzureichender Nachlass
Rz. 72
Reicht der Nachlass zur Pflichtteilsergänzung nicht aus und haftet der Erbe nur beschränkt für den Nachlass (§§ 1975, 1990, 2060 BGB), dann ist nach Ansicht des BGH der Erbe nicht verpflichtet. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Nachlass von vornherein wertlos bzw. überschuldet ist. Nach Herzog soll hierbei zunächst geprüft werden, ob durch die Hinzurechnung der Schenkung überhaupt ein Aktivnachlass entstanden wäre. Ist dies nicht der Fall, so entfällt auch der Ergänzungsanspruch gegenüber dem Beschenkten. Beim pflichtteilsberechtigten Miterben wendet der BGH im Falle der Überschuldung des Nachlasses § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB analog an. Der BGH begründet dies damit, dass eine dem Alleinerben vergleichbare Lage vorliegt und der zu kurz gekommene Miterbe, der aufgrund der Schenkungen einen nur unzureichenden Nachlass erhalten hat, nicht schlechter gestellt werden kann als der Alleinerbe.
b) Einrede nach § 2328 BGB
Rz. 73
Der M...