Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Allgemeines
Rz. 81
Nicht selten kommt es in der Praxis vor, dass der Erbe als Schuldner des Pflichtteilsanspruchs nicht eindeutig zu bestimmen ist. Hat der Erblasser mehrere letztwillige Verfügungen hinterlassen, in denen er unterschiedliche Erben bestimmt hat, und streiten diese nach Eintritt des Erbfalls über ihre Erbberechtigung, so weiß der Pflichtteilsberechtigte zunächst nicht, an wen er sich wenden soll. Gleiches gilt, wenn letztwillige Verfügungen angefochten werden oder ein als Erbe Bedachter nicht auffindbar ist. In einem solchen Fall ist es dem Pflichtteilsberechtigten als Nachlassgläubiger nicht zuzumuten, die Frage des tatsächlichen Erben und Nachlassschuldners in einem Erbscheinsverfahren (hier fehlt ihm regelmäßig das Antragsrecht), geschweige denn in einer Erbenfeststellungsklage klären zu lassen. Der Pflichtteilsberechtigte würde dann nämlich zum einen das Kostenrisiko dieser Verfahren tragen und zum anderen Gefahr laufen, dass sein Pflichtteilsanspruch zwischenzeitlich verjährt.
Rz. 82
Um dies zu verhindern, steht dem Pflichtteilsberechtigten vielmehr die Möglichkeit zu, eine Nachlasspflegschaft (§ 1960 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB) bzw. eine Klagepflegschaft (§ 1961 BGB) für die noch unbekannten Erben zu beantragen. Wird diese seitens des Nachlassgerichts angeordnet, kann der Pflichtteilsberechtigte seinen Pflichtteilsanspruch gegenüber dem Nachlasspfleger geltend machen. Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen der Nachlasspflegschaft und der Klagepflegschaft gilt es zu beachten, dass die Anordnung der Nachlasspflegschaft im Ermessen des Nachlassgerichts steht, während die Klagepflegschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen anzuordnen ist.
2. Nachlasspflegschaft
Rz. 83
Nach § 1960 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB kann das Nachlassgericht für einen unbekannten Erben einen Pfleger bestellen. Die Frage, ob die Person des Erben nicht feststeht, liegt im Ermessen des Nachlassgerichts und ist aus dessen Sicht zu beurteilen. Ausreichend ist dabei, dass der Erbe mit großer Wahrscheinlichkeit derzeit nicht festgestellt werden kann. Dies liegt z.B. vor, wenn unterschiedliche potenzielle Erben über ihre Erbberechtigung gerichtlich streiten. Ferner ist der Erbe unbekannt, wenn nicht geklärt ist, ob überhaupt eine Verfügung von Todes wegen vorliegt oder wenn erhebliche Zweifel an deren Wirksamkeit gegeben sind. Nicht ausreichend ist hingegen nur die reine Möglichkeit einer Testamentsanfechtung. Hängt die Frage der Begründbarkeit einer Anfechtungsklage wegen Erbunwürdigkeit von dem Ausgang eines Strafverfahrens ab, dann liegen die Voraussetzungen des § 1960 BGB ausnahmsweise vor. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft liegt nicht vor, wenn nach § 1964 Abs. 2 BGB festgestellt ist, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist.
Rz. 84
Kommen mehrere Erben in Betracht, dann ist für jeden Erbteil und jeden Erben gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Nachlasspflegschaft vorliegen. Soweit nur einzelne Miterben unbekannt sind, ist keine Gesamtpflegschaft, sondern nur eine Teilpflegschaft anzuordnen.
3. Klagepflegschaft
Rz. 85
Nach § 1961 BGB hat das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger zu bestellen, wenn dieser zum Zwecke der gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber dem Nachlass von einem Nachlassgläubiger beantragt wird.
Rz. 86
Diese sog. Klagepflegschaft ermöglicht dem Pflichtteilsberechtigten, als Nachlassgläubiger seinen Anspruch gegen den unbekannten Erben oder gegen den Erben, der die Erbschaft noch nicht angenommen hat, geltend zu machen. Neben den Fällen, dass dem Pflichtteilsberechtigten die Ermittlung des Erben und damit des Passivlegitimierten nicht möglich ist, kommt eine Klagepflegschaft auch dann in Betracht, wenn ein Miterbe während eines laufenden Prozesses verstirbt und sein Rechtsnachfolger noch nicht feststeht.
Rz. 87
Hinsichtlich der Voraussetzungen einer Anordnung der Klagepflegschaft verweist § 1961 BGB zunächst auf § 1960 Abs. 1 BGB. Das Nachlassgericht hat bei der Prüfung, ob der Erbe unbekannt ist, insbesondere die Position des Nachlassgläubigers zu berücksichtigen. Es hat zu prüfen, ob es dem Nachlassgläubiger zugemutet werden kann, die für das Vorliegen der Passivlegitimation erforderlichen Nachweise zu beschaffen. Weiterhin ist Voraussetzung, dass der Nachlassgläubiger eine gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs anstrebt. Er ist allerdings nicht verpflichtet, die gerichtliche Geltendmachung unmittelbar zu verfolgen. Der Pflichtteilsberechtigte kann durchaus zuvor die außergerichtlichen Erfüllung seines Anspruchs durch den Nachlasspfleger anstreben und lediglic...