Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Vertretung durch den gesetzlichen Sorgeberechtigten
Rz. 36
Nach § 1629 BGB obliegt grundsätzlich den Eltern als Sorgeberechtigten das Vertretungsrecht des minderjährigen Abkömmlings. Hierzu zählt auch das Recht zur Klärung von Vermögensfragen und davon umfasst die Geltendmachung des Anspruchs des Minderjährigen auf den Pflichtteil. Im Falle der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs wird der Minderjährige daher grundsätzlich vom überlebenden Elternteil vertreten (§ 1629 Abs. 1 S. 2 BGB). Allerdings kann das Recht zur Vermögenssorge dem überlebenden Elternteil durch eine sog. letztwillige familienrechtliche Anordnung nach § 1638 Abs. 3 BGB entzogen werden, da auch der Pflichtteilsanspruch unter den Begriff der Zuwendung von Todes wegen i.S.d. § 1638 BGB fällt. Eine solche Entziehung des Vermögenssorgerechts kommt in der Praxis häufig vor, wenn die Ehepartner geschieden sind.
Rz. 37
Wurde dem überlebenden Ehepartner das Vermögenssorgerecht entzogen, dann ist für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nach § 1811 Abs. 1 Nr. 2 BGB ein Zuwendungspfleger zu bestimmen. Dies kann nach § 1811 Abs. 2 Nr. 1 BGB ebenfalls durch letztwillige Verfügung von Todes wegen erfolgen. Der Zuwendungspfleger macht dann nicht nur den Pflichtteilsanspruch geltend, sondern verwaltet ihn, einschließlich der daraus resultierenden Surrogate (§ 1638 Abs. 2 BGB), bis zur Volljährigkeit des Minderjährigen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die primäre Aufgabe des Zuwendungspflegers die Sicherung des Pflichtteilsanspruchs des Berechtigten ist. Nur in dem Fall, in dem eine Sicherung nicht möglich ist, umfasst die Aufgabe des Zuwendungspflegers auch die gerichtliche Geltendmachung und Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs selbst.
2. Interessensgegensatz, wenn der überlebende Ehepartner Alleinerbe wird
Rz. 38
Der Fall, dass der überlebende Ehepartner auf der einen Seite Alleinerbe des Nachlasses wird und auf der anderen Seite aber das Vermögenssorgerecht für den minderjährigen Abkömmling hat, ist in der Praxis häufig anzutreffen. Wie oben dargelegt (siehe Rdn 36 f.), wird im Rahmen einer gegenseitigen Erbeinsetzung kaum einem Ehepartner das Vermögenssorgerecht für minderjährige Abkömmlinge entzogen. Das Interesse der Ehepartner geht vielmehr dahin, dass Kinder im Falle des zuerst Versterbenden keine Pflichtteilsansprüche geltend machen. Da es sich bei der Frage der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs selbst nicht um ein Rechtsgeschäft handelt, scheidet auch ein Ausschluss der Vertretungsmacht kraft Gesetzes nach den §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 2, 181 BGB aus.
Rz. 39
Fraglich ist allerdings, inwieweit dem überlebenden Elternteil aufgrund des offensichtlich bestehenden Interessengegensatzes seitens des Gerichts das Vertretungsrecht entzogen werden kann (§§ 1629 Abs. 2, 1824 BGB). Trotz Vorliegens eines Interessengegensatzes wird eine Entziehung der Vertretungsmacht des überlebenden Elternteils nur dann zu bejahen sein, wenn die Interessenkollision nach § 1824 BGB erheblich ist. Nicht ausreichend ist hingegen, dass der Pflichtteilsanspruch verjähren könnte, was damit begründet wird, dass die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres beginnt (§ 207 BGB). Die Frage, ob dem überlebenden Ehepartner die Vertretungsmacht hinsichtlich der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs entzogen werden soll, ist aufgrund einer Einzelfallabwägung dahingehend zu entscheiden, ob eine Gefährdung der Kindesinteressen vorliegt.
Rz. 40
Das Familiengericht muss insoweit insbesondere abwägen, ob nach dem bisherigen Verhalten des gesetzlichen Vertreters dieser in der Lage sein wird, den Pflichtteilsanspruch des Minderjährigen nach dessen Volljährigkeit zu erfüllen. Kommt das Familiengericht zu dem Entschluss, dass ein Zuwendungspfleger nach § 1824 BGB für die Geltendmachung und Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs bestimmt werden soll, muss es zuvor dem überlebenden Elternteil als gesetzlichen Vertreter die Vertretungsmacht entziehen (§§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1824 BGB).
Rz. 41
Praxishinweis
Fraglich ist, wie das Familiengericht von dem Erbfall und dem Vorhandensein minderjähriger Kinder Kenntnis erlangt. In den seltensten Fällen wird nämlich der überlebende Ehepartner das Familiengericht hiervon selbst informieren. Nach § 356 Abs. 1 FamFG ist jedoch das Nachlassgericht verpflichtet, dem Familiengericht Mitteilung über eventuelle Pflichtteilsansprüche von minderjährigen Kindern zu machen, sofern diese einen Wert von 15.000 EUR übersteigen. Das Familiengericht wird dann zu entscheiden haben, ob ihm die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nach § 1640 BGB genügt oder ob ein Zuwendungspfleger zu bestellen ist.