Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 294
Bei der Abwehr von Pflichtteilsansprüchen ist zwischen den materiell-rechtlichen Einwendungen hinsichtlich des Bestehens des Pflichtteilsanspruchs und den vom Pflichtteilsschuldner zu erhebenden Einwendungen und Einreden zu unterscheiden. Bezüglich des Nichtbestehens eines Pflichtteilsanspruchs aufgrund einer wirksamen Pflichtteilsentziehung, einer Pflichtteilsunwürdigkeit oder eines Pflichtteilsverzichts siehe § 8.
I. Verjährungseinrede (§ 2332 BGB)
1. Allgemeines
Rz. 295
Für den Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) gilt grundsätzlich die Regelverjährung von drei Jahren (§ 195 BGB). Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten nach § 2329 BGB gilt hinsichtlich der Dauer die Verjährungsfrist des § 195 BGB (Regelverjährung). Für den Beginn der Verjährung wird allerdings auf den Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt, und zwar unabhängig von einer Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten.
Rz. 296
Praxishinweis
Die kürzere und kenntnisunabhängige Verjährung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach § 2329 BGB in drei Jahren gerechnet ab dem Erbfall ist eine tückische Haftungsfalle.
2. Verjährungsbeginn
Rz. 297
Der ordentliche Pflichtteilsanspruch und der Pflichtteilsergänzungsanspruch (nach § 2325 BGB) verjähren innerhalb von drei Jahren. Nach § 199 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Die Verjährung beginnt mit der Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände und der Person des Schuldners. Darüber hinaus beginnt die Verjährung auch dann, wenn trotz Unkenntnis dieser Umstände und der Person des Schuldners dem Pflichtteilsberechtigten grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Eine wesentliche Änderung zur früheren Rechtslage stellt dies grundsätzlich nicht dar. Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände setzt auch hier voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall und seiner Enterbung, im Falle eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs von der lebzeitigen Zuwendung, erhält oder grob fahrlässig nicht erhalten hat.
Rz. 298
Macht der Pflichtteilsberechtigte dagegen einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegenüber dem beschenkten Dritten nach § 2329 BGB geltend, so beginnt die Frist der Verjährung grundsätzlich mit dem Eintritt des Erbfalls (§ 2332 BGB). Dies soll auch dann gelten, wenn die Vaterschaft des pflichtteilsberechtigten Abkömmlings erst nach Ablauf der Dreijahresfrist festgestellt wird. Auf eine Kenntnis der ihn beeinträchtigenden Verfügungen kommt es bei der Durchgriffshaftung gegen den Beschenkten nicht an. Der unterschiedliche Verjährungsbeginn gilt nach Ansicht des BGH auch dann, wenn der Beschenkte zugleich Erbe oder Miterbe ist.
3. Kenntniserlangung über die anspruchsbegründenden Umstände
a) Allgemeines
Rz. 299
Die anspruchsbegründenden Umstände liegen vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich positive Kenntnis über die ihn beeinträchtigende letztwillige oder lebzeitige Verfügung erlangt. Dies setzt im Einzelnen eine wesentliche Kenntnis des Inhalts der beeinträchtigenden Verfügung voraus. Der Berechtigte muss danach insbesondere erkannt haben, dass er durch die Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Voraussetzung ist aber nicht, dass eine detaillierte Prüfung des Inhalts der letztwilligen Verfügung erfolgt. Ferner ist es auch unerheblich, ob der Pflichtteilsberechtigte die rechtliche Natur der Verfügung fehlerfrei bestimmen kann. Der Pflichtteilsberechtigte muss sich auch nicht unbedingt selbst ein Bild von der ihn beeinträchtigenden Verfügung gemacht haben. Es reicht auch aus, wenn er von dem wesentlichen Inhalt der Verfügung mündlich erfährt, abgesehen von der damit verbundenen Beweisschwierigkeit.
Rz. 300
Erfolgt die Beeinträchtigung des Pflichtteilsberechtigten allein durch eine Verfügung von Todes wegen, so stellt diese Verfügung die Beeinträchtigung dar, auf die sich die Kenntnis beziehen muss. Liegen mehrere sich widersprechende letztwillige Ve...