Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Erblassers
Rz. 100
Besonderheiten bei der Durchsetzung eines Pflichtteilsanspruchs ergeben sich, wenn nach Eintritt des Erbfalls ein Nachlassinsolvenzverfahren mangels Zahlungsfähigkeit eröffnet wird. In diesem Fall wird ein bereits anhängiger Prozess gegen die Erben unterbrochen, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (§ 240 S. 1 ZPO) oder die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht (§ 240 S. 2 ZPO).
Rz. 101
Bei Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung oder anderer Sicherungsmaßnahmen findet § 240 S. 2 ZPO keine Anwendung. Bestellt das Gericht z.B. einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnet es lediglich einen Zustimmungsvorbehalt i.S.v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO an und kein allgemeines Verfügungsverbot, kommt § 240 ZPO nicht zur Anwendung. Droht dem Pflichtteilsberechtigten die Verjährung, ist er in diesem Fall gehalten, die Klage gegen den Erben und aufgrund des Zustimmungsvorbehalts auch gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter zu richten. Wurde das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet und erkennt der Insolvenzverwalter die Pflichtteilsforderung nach Anmeldung zur Insolvenztabelle nicht an, ist die Pflichtteilsforderung gegen den Insolvenzverwalter auf Feststellung zur Insolvenztabelle durchzusetzen.
Rz. 102
Hinweis
Bei der Pflichtteilsforderung handelt es sich um eine nachrangige Forderung gem. §§ 39, 327 InsO.
Rz. 103
Formulierungsbeispiel: Klageantrag gegen den Insolvenzverwalter
1. |
Es wird festgestellt, dass der Klägerin am Nachlass des am (…) verstorbenen Erblassers eine in dem Insolvenzverfahren bei dem AG (…), Az: (…), zur Insolvenztabelle festzustellende Forderung in Höhe von (…) zusteht. |
2. |
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. |
2. Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Erben
Rz. 104
Wird über das Vermögen des Erben das Insolvenzverfahren eröffnet, ist der gegen den Erben geführte Rechtsstreit gegen den Insolvenzverwalter zu richten. Ist der Schuldner vor oder während des Insolvenzverfahrens Erbe geworden, fällt der Nachlass vorläufig in die Insolvenzmasse. Das Recht zur Annahme bzw. Ausschlagung der Erbschaft verbleibt aber dem Schuldner (§ 83 Abs. 1 InsO). Hat dieser die Erbschaft angenommen bzw. innerhalb der Frist des § 1944 BGB nicht ausgeschlagen, wird der Nachlass endgültig Bestandteil der Insolvenzmasse.
Rz. 105
Aus dem Nachlass sind sowohl die Eigengläubiger als auch die Nachlassgläubiger zu befriedigen, wenn keine Trennung der Vermögensmassen durch Beantragung einer Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz herbeigeführt wird. Gleiches gilt auch für den Fall, dass Testamentsvollstreckung angeordnet ist. In diesem Fall besteht die Testamentsvollstreckung allerdings fort mit der Folge, dass die Verfügungsbeschränkung (§ 2211 BGB) auch für den Insolvenzverwalter gilt. Bis zur Beendigung der Testamentsvollstreckung kann der Insolvenzverwalter daher nicht über den Nachlass verfügen. Erst danach unterliegt er seinem Verwertungsrecht. Der der Testamentsvollstreckung unterliegende Nachlass ist in diesem Fall eine Sondermasse, aus der nur die Nachlassgläubiger zu befriedigen sind.
Rz. 106
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die Zahlungsklage gegen den Insolvenzverwalter zu richten und der Testamentsvollstrecker ist auf Duldung in Anspruch zu nehmen. Nach Ansicht des BGH ist § 2213 Abs. 1 S. 3 BGB auf den Fall des Insolvenzverfahrens nicht analog anwendbar.
Rz. 107
Praxishinweis
Die Ausschlagung einer Erbschaft und/oder der Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs stellt in der Wohlverhaltensphase keine Obliegenheitsverletzung des Schuldners dar (§ 295 Abs. 1 InsO).
3. Insolvenz des Pflichtteilsberechtigten
Rz. 108
Ein Pflichtteilsanspruch, der infolge eines Erbfalls während eines Insolvenzverfahrens des Pflichtteilsberechtigten erworben wird, gehört zur Insolvenzmasse, wobei es dem Pflichtteilsberechtigten obliegt, den Anspruch geltend zu machen. Wird der während des Insolvenzverfahrens entstandene Pflichtteilsanspruch erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens anerkannt oder rechtshängig gemacht, unterliegt er der Nachtragsverteilung. Unterlässt der Pflichtteilsberechtigte eine Geltendmachung in der Wohlverhaltensphase, stellt dies keine Obliegenheitsverletzung dar.