Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger
Rz. 109
Nach § 93 SGB XII (§ 33 Abs. 1 SGB II) kann der Sozialhilfeträger Erb- und Pflichtteilsansprüche auf sich überleiten. Bei der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger ist aber zu unterscheiden, ob der Pflichtteilsberechtigte enterbt wurde oder ob er erst durch Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB die Möglichkeit einer Durchsetzung des Pflichtteils hat. Nach h.M. handelt es sich bei der Ausschlagung um ein höchstpersönliches Recht, welches nicht überleitungsfähig ist. Von der Überleitung wäre in dem Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte ausschlagen muss, um seinen Pflichtteilsanspruch zu erhalten, nur der Anspruch nach § 2305 BGB und §§ 2325, 2326 BGB erfasst.
Bis zur Entscheidung des BGH vom 19.1.2011 war umstritten, ob der Pflichtteilsverzicht eines Sozialleistungsempfängers "zu Lasten des Sozialhilfeträgers" sittenwidrig ist. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung klargestellt, dass das grundsätzlich nicht der Fall ist.
Rz. 110
Wurde der Pflichtteilsberechtigte hingegen von der Erbfolge durch letztwillige Verfügung ausgeschlossen, kann der Pflichtteilsanspruch nach Ansicht des BGH unmittelbar auf den Sozialhilfeträger übergeleitet und von diesem geltend gemacht werden, und zwar unabhängig davon, ob der Pflichtteilsberechtigte selbst (oder sein Betreuer) sich zu einer Geltendmachung entschieden hat. Gleiches gilt nach Ansicht des BGH auch für den Fall, dass durch die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger möglicherweise eine mit der Sanktion der Enterbung im Schlusserbfall verbundene Pflichtteilsklausel ausgelöst wird. Nach Ansicht des BGH ist eine solche Pflichtteilsklausel, sofern kein entgegenstehender Erblasserwille erkennbar ist, so auszulegen, dass die Enterbung (Sanktion) nicht für den Fall gilt, dass nicht der Pflichtteilsberechtigte selbst, sondern der Sozialhilfeträger den Anspruch durchsetzt. Nach Ansicht des LG Duisburg kann der Pflichtteilsanspruch eines in einem Berliner Testament als Schlusserbe eingesetzten Abkömmlings durch den Sozialhilfeträger auch nach dem zweiten Erbfall und somit nach dem Eintritt des Zeitpunkts der Konfusion übergeleitet werden. Richtiger Adressat der Überleitungsanzeige ist dabei auch der nicht hilfebedürftige Miterbe, der gesamtschuldnerisch für den Pflichtteilsanspruch haftet (§ 2058 BGB).
2. Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs durch den Betreuer
Rz. 111
Ist für den Pflichtteilsberechtigten ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellt, macht dieser grundsätzlich den Pflichtteilsanspruch im Rahmen seiner Tätigkeit geltend. Ist der Pflichtteilsberechtigte auf einen Erbteil eingesetzt, der mit Beschränkungen oder Beschwerungen belastet ist, kann der Betreuer mit Genehmigung des Betreuungsgerichts die Ausschlagung nach § 2306 BGB erklären (§§ 1814, 1851 Nr. 1 BGB); der Genehmigungsbeschluss wird erst mit der Rechtskraft wirksam (§ 40 Abs. 2 FamFG). Der Betreuer hat vor der Ausschlagung zu prüfen, ob die Ausschlagung für den Betreuten vorteilhaft ist. Dabei hat er ausschließlich nach dem Wohle des Betreuten zu entscheiden. Etwaige Interessen Dritter, auch die des Sozialhilfeträgers, haben dabei unberücksichtigt zu bleiben.