1. Allgemeine Anforderungen

 

Rz. 22

Erste Voraussetzung für eine Maßnahme gemäß § 111a StPO ist das Vorliegen von dringenden Gründen für die Annahme, dass die Maßregel nach § 69 StGB angeordnet werden wird. Dies erfordert einmal den dringenden Tatverdacht einer Verkehrsstraftat sowie einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht den Beschuldigten i.S.v. § 69 StGB für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erachten und deshalb die Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen wird.[27]

 

Rz. 23

Bei Freispruch des Angeklagten in erster Instanz und nach Aushändigung des Führerscheins kann das Berufungsgericht den Führerschein vor seinem Urteil nur aufgrund neuer Tatsachenfeststellungen gemäß § 111a StPO vorläufig entziehen, nicht lediglich aufgrund einer anderen rechtlichen Wertung der vom Gericht erster Instanz festgestellten Tatsachen.[28]

 

Rz. 24

Ein Verfahren, in dem die Maßnahme nach § 111a StPO angeordnet worden ist, muss ebenso beschleunigt werden wie eine Haftsache.[29] Es ist in der Praxis gleichwohl mit Verfahrensdauern von mehreren Monaten, gerade in der Beschwerdeinstanz, zu rechnen.

[27] NK-GVR/Blum, § 111a StPO Rn 3.
[28] OLG Hamm MittBl der Arge VerkR 2000, 28; NK-GVR/Blum, § 111a StPO Rn 15.

2. Vorläufige Entziehung nach Alkoholgenuss

 

Rz. 25

Für den dringenden Verdacht einer Verkehrsstraftat nach § 316 StGB ist der Grad der Alkoholisierung des Beschuldigten regelmäßig anhand einer Blutprobe zu ermitteln.

Zunächst ist festzustellen, dass Atemalkoholmessungen in Strafsachen alleine nicht für eine Verurteilung als Beweismittel ausreichend sind.[30]

Zur Blutalkoholkonzentration ist festzustellen, dass im Strafverfahren eine Umrechnung der Atemalkoholkonzentration (AAK) in eine Blutalkoholkonzentration (BAK) rechtsfehlerhaft ist.[31]

[30] NK-GVR/Quarch, § 316 StGB Rn 8; Krumm, SVR 2009, 21.
[31] KG DAR 2008, 273.

3. Vorläufige Entziehung bei Drogenkonsum

 

Rz. 26

Eine relative Fahruntüchtigkeit i.S.v. § 316 StGB kommt auch nach Drogenkonsum in Betracht;[32] Grenzwerte für die Feststellung einer absoluten Fahruntauglichkeit sind insoweit bislang nicht vorhanden.[33] Letzteres dürfte im wesentlichen politische Gründe haben, da der Gesetzgeber durch die Einführung von Grenzwerten – dies gilt auch für solche der relativen Fahruntüchtigkeit – nicht den Eindruck erwecken will, dass bestimmte Mengen an Drogen im Hinblick auf die Verkehrssicherheit noch toleriert werden. Gerade bei Cannabis wären jedoch Grenzwerte wünschenswert, da ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung stehen dürften, unterhalb von bestimmten THC-Werten eine relevante Gefährdungserhöhung auszuschließen. Nach aktueller Rechtslage kommt die vorläufige Entziehung unabhängig von der gemessenen THC-Serumkonzentration schon dann in Betracht, wenn Drogenkonsum im Raum steht und festgestellt ist.

Bei Fahren unter Drogeneinfluss als Ordnungswidrigkeit gem. § 24a Abs. 2 StVG und auch bei dem Tatbestand des § 316 StGB ist Voraussetzung für die Ahndung, dass die Fahrt unter Drogeneinfluss im öffentlichen Verkehr[34] durchgeführt wird.[35]

Ist z.B. hinsichtlich der Einnahme von Amphetaminen der Beschuldigte geständig und wird dies durch das Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung toxikologisch bestätigt, bedarf es für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis weiterer Feststellungen dazu, dass die Einnahme auch zur Fahruntüchtigkeit i.S.v. § 316 StGB geführt hat.[36] Es entspricht jedoch gängiger Praxis, die Schwelle für relative Fahruntüchtigkeit niedrig anzusetzen und "Ausfallerscheinungen" relativ unkritisch zu bejahen. Der Verteidiger hat hier die Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass generelle Zeichen des Drogenkonsums (z.B. gerötete Augen) keine Ausfallerscheinungen darstellen und auch die allzu gerne herangezogene "Nervosität" mit der Kontrollsituation zusammenhängen kann, mithin nicht drogeninduziert sein muss.

Ein Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bei Fahruntüchtigkeit nach Drogenkonsum ist zurückzuweisen, wenn allein ein Amphetamin-Konsum vorliegt und nicht festgestellt werden kann, dass dieser zur Fahruntüchtigkeit geführt hat.[37]

[32] OLG Zweibrücken NJW 2005, 85 = DAR 2004, 409; OLG Zweibrücken DAR 2003, 431; LG Siegen zfs 2004, 39.
[33] BGH NStZ 2012, 324; a.A. AG Berlin-Tiergarten SVR 2010, 227.
[34] Hierzu z.B. Blum, SVR 2012, 365 m. zahlreichen Bsp.
[35] Zu den sich unter diesem Aspekt des Fahrens unter Drogeneinfluss ergebenden Themen ist zu verweisen auf Krumm, Arbeitshilfe, Fahren unter Drogeneinfluss, SVR 2008, 340.
[36] AG Bielefeld zfs 2008, 530.
[37] AG Bielefeld NJW-Spezial 2008, 459; zusammenfassend NK-GVR/Quarch, § 316 StGB Rn 12.

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