Rz. 206
Wie bereits erwähnt, setzt ein Anspruch voraus, dass der begründete Verdacht einer Schenkung besteht. Es soll dem Pflichtteilsberechtigten hier nicht möglich sein, auf der Auskunftsebene eine Art Ausforschung zu betreiben. Ein Auskunftsanspruch kann sich dann ergeben, wenn es auf Seiten des Erblassers etwa zu einem unerklärlichen Vermögensverlust gekommen ist, Vermögenswerte an Dritte bei ungeklärter Gegenleistung gegangen sind oder "verdächtige" Zuwendungen an nahe Angehörige erfolgt sind.
Rz. 207
Vereinzelt wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, der Auskunftsanspruch auf den fiktiven Nachlass bestehe bereits dann, wenn solche Anhaltspunkte nicht vorgetragen werden, weil der Anspruch eben tatsächlich Ausforschungscharakter habe. Dann allerdings würde nach zutreffender Auffassung von Zimmer der Auskunftsanspruch im Hinblick auf den fiktiven Nachlass über den Auskunftsanspruch hinsichtlich des realen Nachlasses hinausgehen, wenn der Erbe dann alle Unterlagen sichten müsste, die auf eine Schenkung hindeuten. Er müsste dann tatsächlich jedes Rechtsgeschäft der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall oder bei verheirateten Erblassern sogar noch darüber hinaus daraufhin überprüfen, ob Leistung und Gegenleistung des Erblassers in einem angemessenen Verhältnis gestanden haben. Insoweit kann von dem Erben hier allerdings lediglich eine gewisse Sorgfalt bei der Auskunftserteilung verlangt werden, die aber nicht so weit gehen kann, dass der Erbe durch akribische Arbeit sämtliche Tatsachen herausfinden müsste. Dem Inhalt nach wird es häufig so sein, dass der Erbe sich die verlangten Informationen erst noch beschaffen muss.
Rz. 208
Achtung: Nicht ausreichend ist nach alledem, dass der Erbe mitteilt, dass ihm von Schenkungen des Erblassers nichts bekannt ist, unabhängig davon, ob diese Auskunft wahrheitsgemäß ist, wenn er dazu keine weiteren Informationen eingeholt hat. Der Erbe muss sich also schon die notwendigen Kenntnisse möglichst selbst verschaffen. So muss er die ihm zustehenden Auskunftsansprüche gegenüber Banken oder Behörden, Miterben oder Erbschaftsbesitzern geltend machen und durchsetzen. Die Frage stellt sich hier allenfalls nach dem zumutbaren Aufwand. Das OLG Köln hat hier einmal gemeint, den Erben treffe hier jedenfalls keine Verpflichtung zu einer Art Rasterfahndung.
Rz. 209
Muss der Erbe aber seinerseits Anfragen an Banken, Grundbuchämter oder Notare richten, die in Wohnsitznähe des Erblassers liegen, auch wenn der keine Hinweise auf Schenkungen hat?
Zum einen steht fest, dass der Erbe alle ihm verdächtigen Rechtsgeschäfte ermitteln und aufdecken muss. Notfalls muss er hier auch weitere Nachfragen starten. Findet sich bei Sichtung des Nachlasses, der Kontounterlagen und des sonstigen Schriftverkehrs aber kein weiterer Hinweis auf irgendwelche entsprechenden Verfügungen des Erblassers, muss der Erbe wohl auch keine weiteren Auskünfte besorgen. Zimmer weist zu Recht darauf hin, dass es hier allgemeingültige Abgrenzungskriterien nicht geben kann, sondern es insbesondere darauf ankommt, welches Näheverhältnis der Erbe zum Erblasser hatte. Handelte es sich um dessen Hausgenossen, Lebensgefährten oder gar Ehegatten, wird er umso eher in die Vermögensdispositionen des Erblassers eingeweiht gewesen sein als derjenige Erbe, der dem Erblasser nicht so nahe gestanden hat. Je weiter aber ein Erbe von dem Erblasser entfernt gelebt hat, umso mehr muss sich ein solcher Erbe selbst ein Bild über die Vermögensdispositionen des Erblassers verschaffen. Im Ergebnis heißt es also, dass der "fremde" Erbe mehr tun muss als der Erbe, der ohnehin von "seinem" Erblasser alles weiß.
Rz. 210
Die Auskunft erstreckt sich – das ergibt sich aus der Natur der Sache – nicht auf Vorlage eines Bestandsverzeichnisses oder Inventars, da ja gerade die Vermögenswerte im Nachlass nicht mehr vorhanden sind, über die Auskunft erteilt wird, sondern sie betrifft eine möglichst detaillierte Auskunft über die bereits abgeschlossenen Vorgänge und Verträge, letztlich auch eine Art Rechnungslegung nach § 259 BGB. Bei einem Kaufvertrag, den der Erbe im Nachlass vorfindet, muss er also überprüfen, ob Leistung und Gegenleistung sich entsprochen haben oder hier nicht etwa eine gemischte Schenkung vorliegt.
Rz. 211
Ist man der Auffassung, dass der Erbe verpflichtet ist, die entsprechenden Belege vorzulegen, wäre man also bei der Auskunft über den fiktiven Nachlass bei einer Belegpflicht angekommen. Im Ergebnis wird man allerdings eine Auskunft über den fiktiven Nachlass auch gar nicht anders erteilen können, so dass eine derartige Pflicht zur Vorlage von Belegen zutreffend anzunehmen ist.
Rz. 212
Selbst wenn ein Notar ein entsprechendes Nachlassverzeichnis anfertigen soll, können seine Ermittlungspflichten hier nicht weiter gehen als die des Erben.