I. Der Aktivprozess
1. Allgemeines
Rz. 44
Die Erbengemeinschaft ist eine sog. Gesamthandgemeinschaft, an der jeder Miterbe mit einem bestimmten Anteil beteiligt ist. Sie ist als solche nicht rechtsfähig. Im Ergebnis heißt das, dass die Erbengemeinschaft selbst auch nicht parteifähig ist, sondern nur die einzelnen Erben – in Erbengemeinschaft – klagen können. Die Grundsätze zur Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder der Wohnungseigentümergemeinschaft sind nicht auf die Erbengemeinschaft zu übertragen. Die Erbengemeinschaft ist auf Auseinandersetzung angelegt. Ihr Sinn besteht in erster Linie darin, nach Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten den Nachlass aufzuteilen und sich anschließend aufzulösen.
2. Das Problem des § 2039 BGB
Rz. 45
§ 2039 S. 1 BGB schreibt vor, dass immer dann, wenn ein Anspruch zum Nachlass gehört, der Verpflichtete nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten und jeder Miterbe nur die Leistung an alle Erben fordern kann. Hierbei stellt sich die Frage, welche prozessualen Auswirkungen diese Vorschrift haben könnte. Nach der Vorschrift hat es den Eindruck, als wenn ein Miterbe unter keinen Umständen Leistung an sich würde fordern können. Allerdings wird dieser strenge Grundsatz des § 2039 BGB durchbrochen. Nach herrschender Auffassung ist zunächst der Zeitpunkt des Leistungsverlangens maßgeblich, nämlich vor oder nach erfolgter Erbauseinandersetzung.
Rz. 46
Liegt eine ungeteilte Erbengemeinschaft vor, dann kann ein einzelner Miterbe nur unter engen Voraussetzungen auf Leistung an sich klagen, nämlich:
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wenn die übrigen Miterben dem zustimmen, |
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damit die Auseinandersetzung in zulässiger Weise vorweggenommen wird, etwa dann, wenn die Klage gegen den einzigen Miterben gerichtet ist, Nachlassverbindlichkeiten nicht bestehen und der Kläger nur den Anteil verlangt, der ihm bei der endgültigen Auseinandersetzung zufallen würde, |
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wenn es sich um eine Notverwaltungsmaßnahme nach § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB handelt, |
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wenn es sich um einen Unterlassungsanspruch oder ein Individualrecht handelt, das die anderen Miterben nicht berührt, oder |
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wenn eine rechtsmissbräuchliche Versagung der Mitwirkung durch die Miterben zuvor erfolgt ist. |
Bis auf die Fälle, in denen die Erbauseinandersetzung vorweggenommen wird, wird es sich in der Praxis um relativ selten vorkommende Sachverhalte handeln. Vereinzelt wird vertreten, ein Miterbe dürfe auch dann auf Leistung an sich klagen, wenn die Leistung allen Erben zugutekomme.
Rz. 47
Selbst die für zulässig gehaltene Ausnahme dürfte mit Vorsicht anzuwenden sein, denn die Rechtsprechungsfundstellen rekurrieren sämtlich auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1963, eine Entscheidung, die nicht vom Erbrechtssenat stammt und die eine Teilauseinandersetzung eines Nachlasses gegen den Willen eines Miterben für zulässig gehalten hat, "... wenn besondere Gründe vorliegen und die Belange der Erbengemeinschaft nicht beeinträchtigt werden. Ein solcher Fall kann gegeben sein, wenn ein Miterbe den durch die Weiterführung eines zum Nachlass gehörenden gewerblichen Betriebes erzielten Gewinn für sich behält und ein anderer Miterbe Herausgabe des ihm bei der endgültigen Auseinandersetzung zufallenden Anteils am Gewinn verlangt".
Rz. 48
Anders stellt sich der Sachverhalt nach erfolgter Erbauseinandersetzung dar. Stellt sich hier noch ein Anspruch heraus, der der Erbengemeinschaft zusteht (Beispiel: Haftungsanspruch aus § 2219 BGB gegen einen Testamentsvollstrecker), wird eine Klage mit Leistung an den klagenden Miterben in Höhe seiner Quote für zulässig erachtet. Auch hier gilt natürlich, dass immer dann, wenn alle Miterben einig sind, der Nachlass auch nur teilweise auseinandergesetzt werden kann.
3. Mitwirkungspflichten
a) Allgemeines
Rz. 49
Es gilt der Grundsatz, dass eine Leistung an die Erbengemeinschaft gefordert werden muss. Kann aber ein einzelner Miterbe überhaupt ohne Mitwirkung der anderen Erben klagen? Der Miterbe ist Kläger in gesetzlicher Prozessstandschaft für die Erbengemeinschaft.
Rz. 50
Es wird dazu teilweise die Auffassung vertreten, dass deswegen immer die Zustimmung aller Miterben erforderlich sei. Gegen den Willen der anderen Miterben könne die Klage eines einzelnen Miterben nicht zulässig sein, weil dann die Prozessführungsbefugnis fehle. Sie sei unzulässig. Das OLG Frankfurt hatte die Auffassung vertreten, dass eine Klage nach § 2039 BGB wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig sei, wenn die Miterben der Klageerhebung widersprochen haben. Da die geltend gemachten Ansprüche zum Nachlass gehörten, der Kläger jedoch nicht Alleinerbe sei, sondern aufgrund gesetzlicher Erbfolge noch zwei weitere Personen Miterben seien, stelle sich die beabsichtigte Klageerhebung als unzuläs...