I. Anspruchsgrund
Rz. 261
Hat der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall eine Schenkung an einen Dritten getätigt, hat der Pflichtteilsberechtigte gem. § 2325 BGB einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung, sofern es sich nicht um eine Anstandsschenkung nach § 2330 BGB handelt.
Rz. 262
Voraussetzung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist natürlich, dass ein Pflichtteilsberechtigter enterbt worden ist. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf die neuere BGH-Rechtsprechung, wonach die bis dahin geltende Theorie der Doppelberechtigung, nach der sowohl im Zeitpunkt des Erbfalls als auch schon im Zeitpunkt der Schenkung die Pflichtteilsberechtigung gegeben sein musste, aufgegeben worden ist. Nach neuerer Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass für einen Anspruch nach § 2325 BGB eine Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt der Schenkung nicht mehr erforderlich ist.
II. Örtliche Zuständigkeit
Rz. 263
Die Frage der örtlichen Zuständigkeit richtet sich zunächst nach § 27 Abs. 1 ZPO, so dass grundsätzlich das Gericht zuständig ist, in dem der Erblasser im Zeitpunkt des Todes seinen allgemeinen Gerichtsstand hatte. Wenn das Gesetz hier von "Wohnsitz" spricht, wird nicht näher ausgeführt, was darunter zu verstehen ist. Im Allgemeinen ist das der Ort, an dem der Erblasser zuletzt sich selbstständig niedergelassen und den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Tätigkeiten hatte. Gab es mehrere Wohnsitze, besteht ein Wahlrecht (§ 35 ZPO).
Hierbei ist im Übrigen unerheblich, wo sich die Nachlassgegenstände befinden oder befunden haben. Danach kommt der Gerichtsstand nach § 27 ZPO auch dann in Betracht, wenn etwa ausländisches Erbrecht infolge des im Ausland befindlichen Belegenheitsorts zur Anwendung kommt.
Rz. 264
Der besondere Gerichtsstand der Erbschaft gilt sowohl für Klagen nach § 2325 BGB als auch für solche, die sich gegen den Beschenkten richten. Er ist aber kein ausschließlicher Gerichtsstand, so dass also Klagen auf Durchsetzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs auch am Wohnsitzgericht des Erben oder des Beschenkten als allgemeinem Gerichtsstand nach den §§ 12, 13 ZPO erhoben werden können.
Rz. 265
Angesichts der Geltung der EU-Erbrechtsverordnung kommt es künftig einheitlich auf den letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers an. Auch verfahrensrechtlich sollen für die Abwicklung von Nachlassangelegenheiten ebenfalls die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats zuständig sein, in dem der Erblasser zuletzt seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
III. Gegner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs
Rz. 266
In erster Linie geht der Anspruch gegen den Erben. Die Inanspruchnahme des Beschenkten kommt nur subsidiär nach § 2329 BGB in Betracht (siehe dazu im Einzelnen Rdn 269 ff.). Das setzt voraus, dass der Erbe selbst nicht zur Ergänzung verpflichtet sein darf.
Nicht ausreichend sind dafür tatsächliche Gründe, etwa weil der Erbe zahlungsunfähig ist oder aus sonstigen Gründen nicht belangt werden kann. Das Insolvenzrisiko soll durch § 2329 BGB nicht verlagert werden. Dem Berechtigten muss ein Betrag fehlen, und zwar aus Rechtsgründen. Das ist der Fall, wenn
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feststeht, dass kein Nachlass vorhanden ist; |
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der Nachlass überschuldet ist; |
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der Erbe zulässig seine Haftung beschränkt oder nur als Teilschuldner haftet und der Nachlass dafür nicht ausreicht; hier soll es ausreichen, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für die Einrede vorliegen, sie muss nicht geltend gemacht sein (str.); |
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der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt ist und die Einrede nach § 2328 BGB möglich ist (oder geltend gemacht wurde, str.); |
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der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe geworden ist; hier richtet sich der Anspruch von Anfang an gegen den Beschenkten, weil niemand sonst zur Ergänzung verpflichtet sein könnte. |
Rz. 267
Hauptfall dürfte der sein, dass der Erbe prozessual seine Haftung nach § 780 ZPO beschränkt oder die Einreden der beschränkten Erbenhaftung erhebt und der Nachlass zur Begleichung der Pflichtteilsergänzungsansprüche nicht ausreicht. Hier ist allerdings umstritten, ob der Pflichtteilsberechtigte tatsächlich die Erhebung der Einrede abwarten muss. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist das nicht erforderlich. Die Rechtsprechung ist demgegenüber der Auffassung, dass das Leistungsverweigerungsrecht nach § 2328 BGB im Wege der Einrede geltend zu machen und nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist.
Rz. 268
Im Ergebnis heißt das: Wenn der Pflichtteilsberechtigte den Erben unbeschränkt in Haftung nehmen kann und dieser lediglich zahlungsunfähig ist, bleibt ihm ein direkter Rückgriff auf den Beschenkten versagt. Auch diese von der Rechtsprechung immer wieder bestätigte Rechtslage wird von der Literatur zum Teil abgelehnt. Ob es allerdings richtig ist, dem Beschenkten das Insolvenzrisiko des Erben aufzubürden, was ja die Folge wäre, wenn ein Anspruch gegenüber dem Beschenkten schon bei tatsächlicher Unmög...