Rz. 127
Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft ist nicht immer mit der Verwendung der entsprechenden Begrifflichkeiten verbunden. So ist in der Praxis häufig der Fall anzutreffen, dass erst durch Anwendung von Auslegungs- und Ergänzungsregeln (§§ 2101–2107 BGB) der wirkliche Wille des Erblassers zu eruieren ist. Gerade bei Ehegattentestamenten ist die Frage zu stellen, ob die Eheleute eine Trennungs- oder Einheitslösung gewollt haben. Bleiben Zweifel, spricht die Vermutung für das Einheitsprinzip (sog. Vollerbenlösung), was dazu führt, dass insoweit keine Vor- und Nacherbschaft als angeordnet gilt, sondern hier die Vermögen des Erstversterbenden und des Längerlebenden verschmelzen.
Rz. 128
Welches Interesse könnte ein so benannter Erbe daran haben, über eine Feststellungsklage feststellen zu lassen, dass er "lediglich" Vorerbe ist? Insbesondere im Bereich des Pflichtteilsrechts ist diese Frage von entscheidender Bedeutung. Liegt eine Vollerbeneinsetzung vor (Einheitslösung), errechnet sich der nach dem Tod des Längerlebenden geltend zu machende Pflichtteilsanspruch nach dem vollen Nachlasswert einschließlich des Vermögens des Erstversterbenden, während es ansonsten getrenntes Vermögen bliebe.
Rz. 129
Wer sich auf das Trennungsprinzip beruft und das Vorliegen einer Vor- und Nacherbfolge behauptet, trägt wegen der Vermutung des § 2269 Abs. 1 BGB hierfür die Beweislast.
Rz. 130
Entsprechende Klagen im Hinblick auf Art und Umfang des Erbrechts, also die Rechtsstellung als Vollerbe oder als Vorerbe, können zunächst durch die Einleitung eines Erbscheinverfahrens vermieden werden. Allerdings erwachsen die Entscheidungen des Nachlassgerichts nicht in Rechtskraft (§ 2361 BGB).
Nach dem Erbfall ist zunächst lediglich der Vorerbe berechtigt, einen solchen Erbscheinsantrag zu stellen. Dadurch würde zumindest eine Überprüfung über das Nachlassgericht erreicht, ob die Auslegung zutrifft, die in dem Testament die Anordnung einer Vorerbschaft sehen will. Klagen auf Feststellung des Bestehens einer Vor- und Nacherbfolge sind demgegenüber mit einem erheblichen Prozessrisiko verbunden, das auch kostenmäßig natürlich weit höher liegt als ein einfaches Erbscheinsverfahren mit notarieller Unterstützung.
Demgegenüber mag man einwenden, dass im Rechtsstreit vor dem Prozessgericht ein erteilter Erbschein keinen Vorteil bringt, da ein Erbschein eine solche Klage nicht vermeiden kann und auch die Vermutung des § 2365 BGB nicht eingreift.
Rz. 131
Es ist umstritten, ob der Vorerbe im Rahmen einer Feststellungsverfügung einstweiligen Rechtsschutz begehren kann.