Rz. 270
§ 2329 BGB setzt voraus, dass der Erbe seinerseits zur Ergänzung "nicht verpflichtet" ist. Wie bereits unter Rdn 266 erläutert, sind dafür tatsächliche Gründe nicht ausreichend.
Rz. 271
In der Praxis wird gelegentlich übersehen, dass der Anspruch nach § 2329 BGB zwar ebenfalls ein Pflichtteilsergänzungsanspruch ist, aber in der Struktur erhebliche Unterschiede zu dem Anspruch nach § 2325 BGB aufweist. Der Anspruch geht gegen den Beschenkten und ist kein Geldanspruch, sondern ein Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in die geschenkten Gegenstände bis zur Höhe des exakten Fehlbetrags (ausnahmsweise kann der Anspruch auch auf Zahlung gehen, wenn es sich um Geldgeschenke handelt oder wenn das nicht in Geld bestehende Grundstück nicht mehr vorhanden ist, der Beschenkte sich aber nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann).
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten stellt damit keine Nachlassverbindlichkeit dar. Auch ist der abweichende Verjährungsbeginn nach § 2332 Abs. 1 BGB (drei Jahre nach Eintritt des Erbfalls) zu beachten.
Rz. 272
Es gilt Bereicherungsrecht. Der Beschenkte haftet nur mit dem vom Erblasser schenkweise erlangten Gegenstand und auch nur zur Befriedigung des dem Pflichtteilsberechtigten fehlenden Betrags. Es handelt sich hier um eine Ausfallhaftung des Beschenkten.
Die zeitliche Begrenzung (Pro-Rata-System des § 2325 Abs. 3 BGB) gilt auch beim Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten.
Rz. 273
Wie bereits dargelegt, handelt es sich um einen subsidiären Anspruch; das Prinzip der Subsidiarität wird nur in § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB verlassen: "Ist der Pflichtteilsberechtigte der alleinige Erbe, so steht ihm das gleiche Recht zu."
In den Fällen, in denen der Pflichtteilsberechtigte alleiniger Erbe ist und der empfangene Nachlass wertmäßig hinter dem Pflichtteil zurückbleibt, besteht ein direkter Anspruch gegen den Beschenkten. Der Erbe muss dafür nicht einmal ausschlagen.
In allen anderen Fällen ist das Prinzip der Subsidiarität zu beachten.
Rz. 274
Wenn der Erbe gleichzeitig auch Beschenkter ist, ist § 2329 BGB ebenfalls anwendbar. Hier muss allerdings der Pflichtteilsberechtigte zunächst seinen Anspruch nach § 2325 BGB geltend machen und kann erst dann auf § 2329 BGB wechseln, wenn der Erbe etwa die beschränkte Erbenhaftung nach § 780 ZPO einwendet und aus diesem Grund der Anspruch nach § 2325 BGB gegen den Erben nicht durchgesetzt werden kann.
Rz. 275
Nach der Rechtsprechung des BGH führt die sog. wesensmäßige Gleichheit der Ansprüche dazu, dass die zuvor auf § 2325 BGB gestützte rechtshängige Zahlungsklage auch die Verjährung des auf § 2329 BGB gegründeten Duldungsanspruchs gegen denselben Verpflichteten nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmt.
Rz. 276
Treffen im Übrigen die Ansprüche nach § 2329 Abs. 1 BGB und §§ 2287, 2288 BGB aufeinander, ist der Herausgabeanspruch nach den §§ 2287, 2288 BGB vorrangig.