Rz. 93
Der Erwerbsschaden eines Arbeitnehmers ist in der Regel ganz oder jedenfalls in größerem Umfang durch Leistungen Dritter – Arbeitgeber und Sozialversicherungsträger – abgedeckt, auf die die Ersatzansprüche im Rahmen der Leistungspflicht übergehen. Möglicherweise verbleibt eine ungedeckte Schadensspitze, die der Geschädigte selbst geltend machen kann. Ziel der Schadensabrechnung ist es, den Geschädigten einkommensmäßig so zu stellen, wie er ohne den Unfall stünde; er soll im Prinzip über denselben Betrag verfügen, also nicht weniger, aber auch nicht mehr erhalten. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn auch die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen beachtet werden. Insbesondere ist die teilweise Steuerfreiheit von Sozialleistungen, die den Ersatzanspruch rechnerisch mindert, zu beachten. Dies setzt die Kenntnis des sozialen Beitragsrechts voraus. Eine korrekte Schadensabrechnung kann daher durchaus kompliziert sein.
Rz. 94
Die Höhe der Steuern ist von den individuellen Verhältnissen des Arbeitnehmers abhängig. Die Höhe der Sozialbeiträge hat sich immer wieder verändert. So betrug gemäß der Verordnung zur Festlegung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Beitragssatzverordnung – GKV-BSV) der paritätisch finanzierte Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 2009 14,6 %, der ermäßigte Beitragssatz 14,0 %. Hinzu kam ein Anteil von 0,9 Beitragssatzpunkten, den die Mitglieder allein trugen, also ohne hälftige Beteiligung der Arbeitgeber. Die GKV-BSV wurde aufgehoben durch das Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz – GKV-FinG). Der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung stieg ab dem 1.1.2011 auf 15,5 % und setzte sich zusammen aus einem (festgeschriebenen) Arbeitgeberbeitrag von 7,3 % und einem Arbeitnehmerbeitrag in Höhe von 8,2 %. Seit 2015 beträgt der Beitragssatz 14,6 %. Seit 2019 tragen Arbeitgeber und Arbeitnehmer je 7,85 %. Die Beitragsberechnung unterscheidet sich allerdings je nach Versichertengruppe. Geändert haben sich auch ständig die Sätze für die Pflegeversicherung (seit 2019 für gesetzlich Versicherte mit Kindern 3,05 % des beitragspflichtigen Einkommens, für Versicherte, die keine Kinder haben oder hatten, 3,3 %) und die Rentenversicherung (2020 18,6 %) sowie die Beitragsbemessungsgrenze (2020 in der gesetzlichen Krankenversicherung 56.250 EUR/Jahr). Für den jeweiligen Schadensfall ist rechnerisch auf die für den einschlägigen Berechnungszeitraum geltenden Werte abzustellen, die wegen der zur Regulierung bzw. Prozessführung erforderlichen Zeit bei in der Vergangenheit liegenden Unfällen meist nicht den aktuellen Werten entsprechen. Möglicherweise müssen auch ländertypische Unterschiede berücksichtigt werden.
Rz. 95
Der Arbeitgeber führt unfallunabhängig Sozialbeiträge für Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung in der gesetzlich festgelegten Höhe an die Sozialversicherer ab, teilweise als Arbeitgeberbeiträge. Er zahlt den Gesamtbetrag an die zuständige Krankenkasse als Einzugsstelle, diese übernimmt dann die weitere Verteilung an die übrigen Sozialversicherungsträger. Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung trägt der Arbeitgeber zusätzlich allein. Während der Zeit der Entgeltfortzahlung zahlt der Arbeitgeber die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile wie bisher an die Krankenkasse als Einzugsstelle. Das Krankengeld beträgt 70 % des Regelentgelts, ist aber auf maximal 90 % des Nettoarbeitsentgelts beschränkt. Von dem Brutto-Krankengeld hat die Krankenkasse Sozialbeiträge (für Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung) einzubehalten und abzuführen. Der Arbeitnehmer ist während des Bezugs von Krankengeld nach § 224 Abs. 1 SGB V beitragsfrei krankenversichert. Nur das Nettokrankengeld wird dem Geschädigten ausbezahlt, nur insoweit erhält er eine Lohnersatzleistung. Die von der Krankenkasse an die übrigen Sozialversicherungsträger abgeführten Beträge sind höher als die vom Bruttokrankengeld einbehaltenen. Denn insoweit ist nicht von der Höhe des Krankengeldes auszugehen, sondern von der Beitragsbemessungsgrenze von 80 % des Bruttogehalts. Diese Gesamtaufwendungen – Netto-Krankengeld zuzüglich Sozialbeiträge – kann die Krankenkasse vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 116 Abs. 1 SGB X regressieren; hinzu kommt gem. § 116 Abs. 1 S. 2 SGB X (bis zum 31.12.2000 galt insoweit § 119 SGB X a.F.) in Verbindung mit § 224 Abs. 2 SGB V der (fiktive) Krankenkassenbeitrag, den der Geschädigte ohne Unfall von seinem Bruttoeinkommen an sie abzuführen hätte.
Rz. 96
Die in der Vergangenheit heftig geführte Diskussion darüber, ob bei der Regulierung von Verdienstausfallschäden vom Brutto- oder Nettolohn des Geschädigten auszugehen ist, muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Heute dürfte weitgehend Einigkeit bestehen, dass sowohl die modifizierte Bruttolohnm...