Rz. 84

Es obliegt dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten; die Verpflichtung zur Verwertung der Arbeitskraft setzt allerdings voraus, dass der Verletzte überhaupt die Möglichkeit hat, die verbliebene Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen.[175] Notfalls muss der Verletzte auch eine zumutbare andere Arbeit als die ihm infolge des Unfalls unmöglich gewordene aufnehmen.[176] Evtl. ist aber auch die freiwillige Aufgabe des Arbeitsplatzes wegen zunehmender unfallbedingter Beschwerden vom Schädiger hinzunehmen.[177] Einen ihm angebotenen zumutbaren Ersatzarbeitsplatz darf der Geschädigte nicht grundlos ablehnen.[178] Insoweit kann eine festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit dem Tatrichter Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage geben, ob der Geschädigte wieder eine Anstellung in den von ihm angestrebten Berufen finden konnte, was bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % eher zu bejahen ist, als bei einer solchen von mehr als 20 %.[179]

 

Rz. 85

Einer Lehrerin kann nach unfallbedingter Pensionierung vom Schädiger nicht ohne Weiteres ein Mitverschulden deshalb entgegengehalten werden, weil sie ihre Restarbeitskraft nicht verwertet habe.[180] Hat die Entwicklung einer Beinvenenthrombose zu einer vorzeitigen Versetzung eines Beamten in den Ruhestand geführt, dann führt eine erhaltene und nicht eingesetzte Restarbeitskraft des Pensionärs nicht zur Anspruchsminderung wegen Verletzung der Erwerbsobliegenheit.[181]

 

Rz. 86

Steht der Verletzte kurz vor dem Ruhestand, so kann er (als Schwerbehinderter) auf sein Recht auf vorzeitiges Altersruhegeld (jetzt § 37 SGB VI) zurückgreifen;[182] er braucht sich dann keiner Umschulung und keinem Berufswechsel mehr zu unterziehen.

[175] BGH, Urt. v. 5.12.1995 – VI ZR 398/94, VersR 1996, 332.
[176] BGH, Urt. v. 23.1.1979 – VI ZR 103/78, VersR 1979, 424.
[177] OLG Frankfurt, Urt. v. 19.9.2001 – 9 U 123/00, zfs 2002, 20.
[178] BGH, Urt. v. 29.9.1998 – VI ZR 296/97, VersR 1998, 1428: Der beklagte Haftpflichtversicherer bot dem Kläger an, bei ihm in der Registratur tätig zu sein; der BGH hielt den Geschädigten für verpflichtet, das Angebot anzunehmen und sich für den langen Fahrweg ein Kfz anzuschaffen.
[180] OLG Karlsruhe, Urt. v. 5.9.1996 – 19 U 131/95, VersR 1998, 1115.

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