Rz. 183
a) Wie sich der Ausbildungsgang und die spätere berufliche Situation des Verletzten voraussichtlich entwickelt hätten, ist unter Heranziehung von § 252 S. 2 BGB und § 287 ZPO zu ermitteln. Ist die voraussichtliche berufliche Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis zu beurteilen, muss der Geschädigte zwar soweit wie möglich konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose dartun. Doch dürfen insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn das haftungsauslösende Ereignis den Geschädigten zu einem Zeitpunkt getroffen hat, als er noch in der Ausbildung oder am Anfang seiner beruflichen Entwicklung stand und deshalb noch keine Erfolge in der von ihm angestrebten Tätigkeit nachweisen konnte.
Rz. 184
b) Hatte ein Verletzter seine konkrete Berufsausbildung (etwa eine Lehre oder ein Studium) bereits aufgenommen oder stand er unmittelbar davor, so wird in der Regel davon ausgegangen werden können, dass er in diesem Beruf einen "normalen" Werdegang mit durchschnittlichem Erfolg absolviert hätte; aber auch hier können beträchtliche Prognoseschwierigkeiten auftreten. Allgemein darf bei einem jüngeren Menschen ohne konkrete Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass er auf Dauer die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten für eine Gewinn bringende Erwerbstätigkeit nicht nutzen werde. Ergeben sich keine Anhaltspunkte, die überwiegend für einen Erfolg oder einen Misserfolg sprechen, dann liegt es nahe, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen, auf dieser Grundlage die weitere Prognose der entgangenen Einnahmen anzustellen und den Schaden gemäß § 287 ZPO zu schätzen; verbleibenden Risiken kann durch gewisse Abschläge Rechnung getragen werden.
Rz. 185
c) Die Prognoseprobleme wachsen, je jünger der Verletzte im Unfallzeitpunkt war. Trifft das Schadensereignis ein jüngeres Kind, über dessen berufliche Zukunft aufgrund des eigenen Entwicklungsstands zum Schadenszeitpunkt noch keine zuverlässige Aussage möglich ist, darf es dem Geschädigten nicht zum Nachteil gereichen, dass die Beurteilung des hypothetischen Verlaufs mit nicht zu beseitigenden erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Zutreffend werden deshalb in solchen Fällen auch der Beruf, die Vor- und Weiterbildung der Eltern, ihre Qualifikation in der Berufstätigkeit, die beruflichen Pläne für das Kind sowie schulische und berufliche Entwicklungen von Geschwistern herangezogen. Bei einem ungünstigen sozialen Umfeld ist allerdings Vorsicht angebracht und in Betracht zu ziehen, dass Fleiß, Ehrgeiz, staatliche Förderung unter anderem hier manches ausgleichen können. Ergeben sich aufgrund der tatsächlichen Entwicklung des Kindes zwischen dem Zeitpunkt der Schädigung und dem Zeitpunkt der Schadensermittlung (weitere) Anhaltspunkte für seine Begabungen und Fähigkeiten und die Art der möglichen Erwerbstätigkeit ohne den Schadensfall, ist auch dies bei der Prognose zu berücksichtigen und von einem dementsprechenden normalen beruflichen Werdegang auszugehen. War etwa ein neun Jahre altes Mädchen bis zu dem Unfall stets eine sehr gute Schülerin, die in allen Fächern und Lernbereichen (sehr) starke Leistungen erbrachte, welche die Anforderungen häufig weit übertrafen, und prognostiziert die Klassenlehrerin nach dem Unfall, dass die Klägerin den Anforderungen des Gymnasiums gewachsen gewesen wäre, so kann die Behauptung der Geschädigten, ohne den Unfall hätte sie wie ihre Schwester die Realschule besucht, ihre Fachoberschulreife erworben und eine Ausbildung zur Industriekauffrau durchgeführt, als ausreichend wahrscheinlich angesehen werden.
Rz. 186
d) Bei Verletzung eines kleinen Kindes wird hinsichtlich seiner künftigen Erwerbsschäden in der Regel zunächst nur eine Feststellungsklage in Betracht kommen.