Rz. 172
Bei Arbeitslosen können sich Probleme des Verdienstausfalls in zwei Richtungen ergeben:
Rz. 173
1. Wer als Arbeitsloser staatliche Unterstützung bezieht, erleidet, wenn er unfallbedingt arbeitsunfähig wird, zwar keinen unmittelbaren Verdienstausfall. Da er infolge der Verletzung aber dem Arbeitsmarkt (ggf. vorübergehend) nicht mehr zur Verfügung steht, verliert er seinen Anspruch auf die staatliche Unterstützung. Bei normativer Betrachtung erleidet er dann auch einen Schaden. Denn ein Erwerbsschaden liegt nicht nur in dem Verlust von Arbeitseinkommen; der Erwerbsschaden umfasst alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, welche die Geschädigte erleidet, weil und soweit sie ihre Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann, die also der Mangel der vollen Einsatzfähigkeit ihrer Person mit sich bringt.
Rz. 174
Demgemäß hat der Bundesgerichtshof zutreffend entschieden, dass durch den Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosenunterstützung (nach altem Recht) ein ersatzfähiger Erwerbsschaden entsteht, und zwar auch dann, wenn der Geschädigte aufgrund seiner verletzungsbedingten Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Krankengeld aus der Sozialversicherung in gleicher Höhe erwirbt, sodass gem. § 116 SGB X ein Übergang des Schadensersatzanspruchs auf den das Krankengeld leistenden Sozialversicherungsträger stattfindet. Ebenso entsteht einem Arbeitslosengeldempfänger, der infolge einer Körperverletzung dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht und statt des Arbeitslosengeldes im Sinne der §§ 117 ff. SGB III (i.d.F. v. 24.3.1997) "Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit" im Sinne des § 126 Abs. 1 S. 1 SGB III bezieht, ein Erwerbsschaden, so dass in entsprechendem Umfang sein Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger gem. § 116 Abs. 1 S. 1, Abs. 10 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit übergeht.
Rz. 175
Umstritten war, ob die Grundsätze dieser Rechtsprechung auch auf das mit Wirkung vom 1.1.2005 eingeführte Arbeitslosengeld II (ALG II) anzuwenden sind. Diese Leistung weist in stärkerem Maße als die frühere Arbeitslosenhilfe Übereinstimmungen mit der Sozialhilfe auf. Deshalb haben verschiedene Gerichte angenommen, der Verlust eines Anspruchs auf ALG II stelle keinen Erwerbsschaden dar, weil das ALG II keine Lohnersatzfunktion habe. Der Bundesgerichtshof hat das vorgenannte Urteil des OLG Jena aufgehoben und entschieden, dass ein ersatzfähiger Erwerbsschaden auch dann vorliegt, wenn der – im Unfallzeitpunkt arbeitslose – Geschädigte infolge eines Unfalls erwerbsunfähig geworden ist und dadurch seinen Anspruch auf ALG II aus § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II verloren hat. Dem ist zuzustimmen. Zwar weist das ALG II deutliche Unterschiede zur Arbeitslosenhilfe nach altem Recht auf. Mit dem SGB II hat der Gesetzgeber ein völlig neues Leistungssystem geschaffen, das Elemente der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe in sich vereint und deshalb als spezielles Fürsorgesystem für Erwerbsfähige ohne oder ohne ausreichende Erwerbsarbeit zu qualifizieren ist. In Abkehr von dem Lebensstandardprinzip wird das ALG II nicht nach dem früher erzielten Arbeitsentgelt bemessen, sondern orientiert sich, wie die Sozialhilfe, an dem Bedarf des Leistungsempfängers. Auch sieht das SGB II den Leistungsberechtigten von ALG II nicht als in den Arbeitsmarkt eingegliedert an. Hauptziel des SGB II ist es aber, arbeitsfähige Arbeitslose wieder in das Erwerbsleben einzugliedern. Die Gewährung von ALG II erfolgt zudem nicht schon aufgrund der bloßen Tatsache der Hilfebedürftigkeit. Vielmehr ist Voraussetzung, dass der Betroffene erwerbsfähig ist und für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung steht (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4a S. 1, § 31 Abs. 1 Nr. 2, 3 SGB II).
Rz. 176
Arbeitslosigkeit ist in der Regel ein vorübergehender, kein dauernder Zustand. Verliert der Geschädigte durch das Unfallereignis für längere Zeit oder gar auf Dauer seine Arbeits- und Erwerbsfähigkeit, so kann ein Verdienstausfallschaden auch im Verlust der Einkünfte liegen, die er aus einer Arbeitsstelle erzielt hätte, die er ohne den Unfall mit Wahrscheinlichkeit wieder gefunden hätte. Ob Letzteres der Fall gewesen wäre, ist nach Maßgabe von § 287 ZPO, § 252 S. 2 BGB zu ermitteln (näher oben Rdn 34).