Rz. 247
Auf der Grundlage des § 843 Abs. 3 BGB kann der Verletzte statt der Rente eine Kapitalabfindung verlangen, wenn ein wichtiger Grund dies rechtfertigt. Nach dem Gesetz ist die Kapitalabfindung die Ausnahme. In der Praxis wird die Kapitalabfindung jedenfalls von den Haftpflichtversicherern und den im Regressweg vorgehenden Drittleistungsträgern gegenüber einer möglicherweise Jahrzehnte dauernden Schadensabwicklung bevorzugt, damit die Schadensakte in einem übersehbaren Zeitraum geschlossen werden kann. Auch viele Geschädigte ziehen eine möglichst schnelle Regulierung durch Zahlung einer größeren Summe vor.
Rz. 248
Das Wahlrecht steht nur dem Verletzten zu; der Schädiger kann dem Verletzten von sich aus eine Kapitalabfindung nicht aufdrängen. Das Wahlrecht kann der Verletzte bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ausüben. Es kann auch hinsichtlich einzelner Schadensposten eine Kapitalabfindung und für andere eine Rente verlangt werden, ferner hinsichtlich eines Schadenspostens für einige oder auch lange Jahre Rente und erst zu einem späteren Zeitpunkt für den Rest der Laufzeit des Schadensersatzanspruchs Kapitalabfindung. Steht der Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens, etwa nach Übergang auf mehrere Sozialversicherungsträger, mehreren Gesamtgläubigern zu, so kann das Wahlrecht nur einheitlich ausgeübt werden.
Rz. 249
Das Wahlrecht besagt nicht, dass ein Verletzter frei darüber entscheiden kann, ob die Zahlung einer Rente oder eine Kapitalabfindung für ihn die bessere Variante ist. Verlangt der Geschädigte die Kapitalisierung seiner Ansprüche, sprechen aber objektive Gründe entscheidend dagegen, dass dies die bessere Variante ist, ist ein "wichtiger Grund" zu verneinen.
Rz. 250
Ein wichtiger Grund, der eine Kapitalabfindung statt fortlaufender Rentenzahlung rechtfertigen kann, liegt vor, wenn der Zweck der Ersatzleistung durch die Abfindung in einem Betrag eher als durch fortlaufende Zahlungen erreicht wird, was der Geschädigte darzulegen und zu beweisen hat. Bei der Kapitalisierung, insbesondere wenn sie durch das Gericht erfolgt, kommt der Sicherstellung der finanziellen Bedürfnisse des Geschädigten besondere Bedeutung zu. Von einer Sicherung dieser Bedürfnisse kann z.B. nicht ausgegangen werden, wenn der Kapitalbetrag dazu verwendet werden soll, für eine bei einem Unfall 24 Jahre alte komplett querschnittsgelähmte Geschädigte, die auf Dauer täglich 24 Stunden betreut werden muss, ein behindertengerechtes Haus zu errichten. Zwar kann es im Einzelfall angemessen sein, dass ein durch einen Unfall schwer Geschädigter unter dem Gesichtspunkt der vermehrten Bedürfnisse einen Kapitalbetrag zur Herrichtung eines behindertengerecht ausgestalteten Hauses erhält. In dem vom OLG Celle entschiedenen Fall bestand aber die naheliegende Gefahr, dass der geforderte Kapitalbetrag für die Errichtung des Hauses aufgebraucht wurde, so dass finanzielle Mittel für die lebenslange Betreuung der Geschädigten nicht (mehr) zur Verfügung stehen würden.
Rz. 251
Allgemein kann sich ein wichtiger Grund sowohl aus Gründen aus der Sphäre des Ersatzpflichtigen als auch aus Gründen aus der Sphäre des Geschädigten ergeben. Bei Abfassung des Gesetzes standen die Gründe aus der Sphäre des Ersatzpflichtigen im Vordergrund. Solche Gründe können sein, dass der Ersatzpflichtige für die Zahlung der Rente keine ausreichende Sicherheit bietet, eine große Zahl an Erben hinterlässt, ferner drohende Insolvenz, Zahlungsschwierigkeiten, die Notwendigkeit der Vollstreckung im Ausland oder ein häufiger Wechsel des Wohnsitzes durch den Ersatzpflichtigen. Als wichtige Gründe aus der Sphäre des Geschädigten werden z.B. der Aufbau einer neuen Existenz, ein günstiger Einfluss auf den Zustand des Geschädigten oder auch eine zu befürchtende Schwierigkeit hinsichtlich der weiteren Durchsetzung des Ersatzanspruchs genannt.
Rz. 252
Die Berechnung der Kapitalabfindung hat davon auszugehen, dass der Verletzte den Betrag erhalten soll, der nach seinen individuellen Verhältnissen während der voraussichtlichen Laufzeit der Rente zusammen mit dem Zinsertrag dieses Kapitals ausreicht, die an sich geschuldeten Renten zu zahlen. Für den Anwalt des Geschädigten besteht bei Abschluss eines Abfindungsvergleichs ein erhebliches Regressrisiko. Es ist daher unerlässlich, für die rechtliche Beurteilung ausreichend ergiebige Literatur zu Rate zu ziehen.
Rz. 253
Das Risiko einer Fehleinschätzung angesichts unerwarteter zukünftiger Entwicklungen trägt letztlich der Verletzte, der sich ausnahmsweise für die Kapitalabfindung entschieden hat. Daher ist auch eine nachträgliche Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO hinsichtlich einer Kapitalabfindung nicht möglich. Entsprechendes gilt bei einem umfassenden Abfindungsvergleich, in dem eine Kapitalabfindung vereinbart wird. Der Geschädigte, der von einem solchen Vergleich abweichen und Nachforderungen stellen will, muss dartun, dass ihm ein Festhalten am Verglei...