Rz. 177
Kinder, Schüler, Studenten und in einer (nicht bezahlten) Berufsausbildung stehende Verletzte erleiden, wenn sie unfallbedingt arbeitsunfähig werden, keinen aktuellen Verdienstausfall. Ein Erwerbsschaden kann sich für sie aber insbesondere dadurch ergeben, dass sie entweder verspätet ihre Ausbildung beenden und ins Berufsleben eintreten oder dass sie endgültig nicht das Berufsziel erreichen können, das sie angestrebt haben; im äußersten Fall bleiben sie ihr Leben lang erwerbsunfähig. Für all diese Unfallfolgen hat der Schädiger in vollem Umfang einzustehen. Allerdings ist die Prognose hinsichtlich der beruflichen Entwicklung ohne Unfall oft besonders schwierig. Die Schwierigkeiten sind umso größer, je früher das Schadensereignis liegt (z.B. Schädigung bei der Geburt durch ärztlichen Behandlungsfehler).
1. Verzögerung des Berufseintritts
Rz. 178
Ist der Verletzte durch das Schadensereignis gezwungen, seine Ausbildung zu unterbrechen, kann er sie aber nach Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit in unveränderter Art fortsetzen und sein Berufsziel erreichen, so kommt als Grundlage für einen Erwerbsschaden nur die eingetretene Verzögerung in Betracht; die dem Geschädigten insoweit entstandenen Einnahmeausfälle hat der Schädiger zu ersetzen. Haftungsrechtlich zuzurechnen ist dem Schädiger dabei jede Verzögerung, die bei wertender Betrachtung noch in einem inneren Zusammenhang mit der Unfallverletzung des Geschädigten steht. Zu ersetzen ist der durch die Verzögerung entstandene Verdienstausfall. Dazu können auch entgangene Ausbildungsvergütungen gehören. Nicht notwendige Verzögerungen bei der Fortsetzung der Ausbildung führen allerdings zu Abzügen unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens (§ 254 BGB). Unfallbedingte Vorteile sind anzurechnen.
2. Schädigungsbedingt weniger qualifizierte Ausbildung/Berufswahl
Rz. 179
Kann die geplante Schul- oder Berufsausbildung nicht aufgenommen oder die begonnene Ausbildung nicht fortgesetzt werden, muss der Verletzte wahrscheinlich machen, dass er die Ausbildung ohne den Unfall begonnen und erfolgreich abgeschlossen hätte. Bei schon begonnener Ausbildung muss vor allem deren bisheriger Verlauf herangezogen werden. Auf dieser Basis muss beurteilt werden, ob der Verletzte die Ausbildung ohne Unfall voraussichtlich erfolgreich abgeschlossen hätte und dann auch in dem erlernten Beruf einen Arbeitsplatz gefunden hätte. Es ist vom Gewöhnlichen und Normalen auszugehen.
Rz. 180
Trifft das Schadensereignis ein jüngeres Kind, ist die Prognose besonders schwierig (siehe dazu unten Rdn 185).
Rz. 181
Der Schädiger hat die Differenz zwischen den aus dem angestrebten Beruf zu erzielenden Einkünften und dem tatsächlich vom Geschädigten bezogenen (oder bei zumutbarer Bemühung zu erlangenden) Einkommen zu ersetzen. Dabei kann eine Differenz erst ab dem Zeitpunkt gebildet werden, in welchem der Verletzte die höher qualifizierte Berufstätigkeit bei normalem Gang der Dinge hätte aufnehmen können. Hat der Verletzte, der wegen des Unfalls eine kürzere Ausbildung wählen musste, bis zu diesem Zeitpunkt aber bereits Einkünfte aus seiner Berufstätigkeit erzielt, so können diese angerechnet werden. Hingegen kann die Ersparnis höherer Ausbildungskosten nicht berücksichtigt werden.
Rz. 182
Rehabilitationskosten, durch die eine Ausbildung zu einem dem Verletzten noch möglichen Beruf finanziert wird, sind vom Schädiger zu erstatten. Neben den Kosten der Berufsfindungsmaßnahme sind dem Verletzten auch die Kosten der Berufsausbildung einschließlich einer internatsmäßigen Unterbringung zu ersetzen.