Rz. 30
Der zu ersetzende Verdienstausfall kann, muss aber nicht identisch sein mit der Differenz zu den Einkünften, die vor dem Unfall zulässig erzielt wurden. Da es maßgeblich auf den für die Zeit nach dem Unfall zu prognostizierenden Erwerb ankommt, müssen alle möglichen Entwicklungen in die Betrachtung miteinbezogen werden, die voraussichtlich in der Zeit nach dem Unfall zu einem höheren oder auch geringeren Einkommen geführt hätten. Dabei ist der Richter nicht an die schon zur Zeit des Schadensereignisses vorhandenen Erkenntnisquellen gebunden; vielmehr ist auf die Erkenntnissituation im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Er muss die spätere tatsächliche Entwicklung in die Beurteilung miteinbeziehen, gegebenenfalls auch einen nach dem Schadensereignis gefassten Entschluss des Geschädigten zur Änderung seiner Lebensgestaltung. Stand der Geschädigte in einem festen Arbeitsverhältnis, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass dieses ohne den Schadensfall in Zukunft fortgesetzt worden wäre. Bestand lange Zeit kein Arbeitsverhältnis, muss die Behauptung, der Geschädigte hätte ohne den Unfall alsbald eine bezahlte Tätigkeit aufgenommen, ausreichend belegt sein. Derartiger Vortrag zur Absicht einer Arbeitsaufnahme ist häufig unwahr und erfolgt nur zu Schadensersatzzwecken. Dafür, dass ein Stellenangebot eines Unternehmens, welches der Geschädigte nach seiner Behauptung wegen des Unfalls nicht hat annehmen können, seinerzeit ernstlich erfolgte und nicht nur zwecks Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs vorgeschoben wird, kann aber etwa sprechen, dass der Geschädigte in eben jenem Unternehmen später tatsächlich eine entsprechende Arbeit aufgenommen hat. Bei einer entsprechenden Qualifizierung des Verletzten und einer glaubhaften Zeugenaussage, etwa des Personalchefs des – potentiellen – Arbeitgebers, steht der positiven Überzeugungsbildung des Gerichts nichts entgegen.
Rz. 31
Zugunsten des Geschädigten sind insbesondere allgemeine Gehaltserhöhungen, aber auch das mit zunehmendem Alter in Aussicht stehende Aufrücken in eine höhere Besoldungs- oder Tarifgruppe und konkret sich abzeichnende Beförderungsaussichten in die Berechnung einzubeziehen. Das Gleiche gilt von einem bereits konkret vorgesehenen Wechsel auf eine höher dotierte Stelle bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber. Wesentlich ist stets, dass eine hinreichend substantiierte Aussicht auf die durch das Schadensereignis vereitelte Einkommensverbesserung festgestellt werden kann. Eine solche wird anlässlich der Geltendmachung des Erwerbsschadens oft behauptet, kann aber häufig trotz der Beweiserleichterungen aus § 252 BGB, § 287 ZPO nicht festgestellt werden. Wenn sich z.B. ein Arbeitnehmer vor dem Unfall ohne Erfolg um eine tarifliche Höhergruppierung bemüht hat, kann bei der Prognose von einem (behaupteten) Anspruch auf Höhergruppierung möglicherweise nicht ausgegangen werden.
Rz. 32
Zulasten des Verletzten sind Umstände zu berücksichtigen, die voraussichtlich seine Einkünfte auch ohne das Unfallereignis vermindert hätten. Dies gilt etwa für einen unfallunabhängig drohenden Verlust des Arbeitsplatzes oder die Umsetzung (gegebenenfalls aus gesundheitlichen Gründen) auf einen schlechter bezahlten Posten. Ein in dieser Weise möglicher Arbeitsplatzverlust kann auch auf einer bevorstehenden Insolvenz oder einem Stellenabbau beim Arbeitgeber aus konjunkturellen Gründen beruhen. Andererseits ist dann auch zu prüfen, ob der Verletzte, vor allem auch dann, wenn er bereits zuvor häufiger seinen Arbeitsplatz gewechselt hatte, nicht alsbald eine Anschlussbeschäftigung an einem neuen Arbeitsplatz gefunden hätte. Macht der Verletzte geltend, er hätte alsbald eine Tätigkeit aufgenommen, kommt dem Umstand Bedeutung zu, dass er vor dem Unfall längere Zeit nicht gearbeitet hatte.
Rz. 33
Die Feststellung dieser voraussichtlichen Entwicklungen kann im Rechtsstreit mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Der geschädigte Arbeitnehmer hat grundsätzlich alle Voraussetzungen seines Anspruchs auf Ersatz des Erwerbsschadens darzutun und nachzuweisen. Ihm kommen aber die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO, wonach eine erhebliche Wahrscheinlichkeit ausreicht, und für den entgangenen Gewinn und damit für die Erwerbseinbuße des § 252 BGB zugute. Nach § 252 S. 2 BGB gilt der Gewinn als entgangen, der nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Der Geschädigte muss zwar soweit wie möglich konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose dartun. Doch dürfen insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.
Rz. 34
Diese Erleichterungen der Darlegung und Beweisführung haben besondere Bedeutung bei Selbstständigen (vgl. Rdn 133 ff.). Aber auch bei abhängig Beschäftigten können die Prognoseschwierigkeiten eine besondere Rolle spielen vor allem, wenn der Verletzte etwa vor dem Unfall nicht regelmäßig täti...