Rz. 22
Bußgeldsachen haben jetzt zwar einen eigenen Gebührenrahmen, das hindert Rechtsschutzversicherer jedoch nicht daran, den Streit um die Gebührenhöhe mit gleichen Argumenten wie zu BRAGO-Zeiten fortzuführen. Zwar ist ihnen wegen des jetzt eigenständigen Gebührenrahmens die Behauptung, Ordnungswidrigkeiten seien im Vergleich zu Verkehrsstrafsachen von untergeordneter Bedeutung abgeschnitten, sie vertreten jedoch nach wie vor unter Berufung auf den wesentlich höheren Bußgeldrahmen der sonstigen Ordnungswidrigkeiten die Auffassung, Verkehrsordnungswidrigkeiten seien unterdurchschnittliche Angelegenheiten (z.B. LG Stralsund JurBüro 2000, 201), werden dabei heute aber nur von vereinzelt gebliebenen und die Gesetzesänderung nicht genügend beachtenden Entscheidungen unterstützt (z.B. LG Dortmund RVGreport 2006, 465).
Rz. 23
Demgegenüber hat bereits früher die herrschende Meinung Verkehrsordnungswidrigkeiten im Hinblick auf ihren zahlenmäßig weit überwiegenden Anteil an der Gesamtzahl aller Ordnungswidrigkeiten als im Grundsatz durchschnittliche Angelegenheit angesehen und die Mittelgebühr zugebilligt. Nach Einführung des RVG hat diese Auffassung sowohl in der Rechtsprechung (AG Rotenburg AGS 2006, 288; LG Stendal zfs 2006, 407; KG AGS 2006, 73; AG München DAR 2007, 116; LG Kiel zfs 2007, 106; AG Leipzig AGS 2007, 355; AG Darmstadt RVG Report 2007, 220; AG München DV 2008, 31; AG Stuttgart DV 2008, 33; AG Stadtroda RVG prof. 2010, 163; LG Saarbrücken RVG Report 2013, 53; zfs 2014, 586; AG Saarlouis zfs 2013, 710; AG München DAR 2013, 733; LG Halle RVG Report 2016, 132; LG Chemnitz RVG Report 2016, 297; AG Arnstadt, Beschl. v. 29.4.2007 - OWi 623/17, juris; LG Frankfurt, Beschl. v. 25.5.2018 - 5/31/Qs 11/18; AG Plauen DAR 2018, 417) als auch in der Literatur an Zustimmung noch gewonnen, zumal jetzt das RVG für Bußgeldsachen nicht nur einen von Strafsachen getrennten eigenständigen, sondern auch jeweils nach der Bußgeldhöhe differenzierende Gebührenrahmen eingeführt hat.
Jedenfalls sticht das von der Gegenmeinung vorgebrachte Hauptargument, Verkehrsordnungswidrigkeiten seien bereits im Hinblick auf die beschränkte Bußgeldhöhe unterdurchschnittlich, deshalb nicht, weil die Bußgeldhöhe gemäß VV Vorb. 5.1 Abs. 2 ausschließlich als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Vergütungsrahmens dient (AG Frankenthal AGS 2005, 292; zfs 2006, 167; AG Saarbrücken zfs 2006, 108; AG Karlsruhe MittBl 2006, 35; AG Viechtach AGS 2006, 289) und deshalb bei der Bemessung der Gebührenhöhe keine Rolle mehr spielt.
Rz. 24
Im Übrigen sagt die Höhe der Geldbuße bei Verkehrsordnungswidrigkeiten ohnehin nicht viel über die Bedeutung der Angelegenheit aus (AG Viechtach AGS 2007, 308; AG Bottrop, Beschl. v. 21.12.2017 - 29 a OWi 3531/17 (b), juris). Es ist somit grundsätzlich auch für das straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren von der Mittelgebühr als angemessener Gebühr für durchschnittliche Fälle auszugehen. Das heißt, wenn sämtliche gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlich sind, kann von der Mittelgebühr nur dann abgewichen werden, wenn andernfalls die Gebühr unbillig wäre (AG Arnstadt, Beschl. v. 29.9.2017 - OWi 623/17, juris; LG Cottbus, Beschl. v. 20.11.2018 - 22 Qs 76/18, juris).Das bedeutet aber nicht, dass es zulässig wäre, ohne weitere Begründung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten immer Mittelgebühren zu berechnen. Die Höhe der Gebühr bemisst sich nämlich alleine nach den Bemessungskriterien des § 14 RVG, die im Einzelnen vorgetragen werden müssen.
Die Rechtsprechung stellt zunehmend auf die Gesamtumstände des Einzelfalles ab (LG Kiel zfs 2007, 106), wobei allerdings einzelne Kriterien für sich so gewichtig sein können, dass selbst bei Unterdurchschnittlichkeit der übrigen eine durchschnittliche bzw. bei Durchschnittlichkeit der sonstigen Kriterien eine überdurchschnittliche Angelegenheit zu befürworten sein kann.
Praxistipp: Beweislast
Während für den Ansatz einer über der Mittelgebühr liegenden Gebühr der RA die Vortrags- und Beweislast trägt, ist umgekehrt der Gebührenschuldner dafür beweisbelastet, dass die vom Anwalt berechnete Mittelgebühr zu hoch ist, etwa weil eines oder mehrere Kriterien unterdurchschnittliches Gewicht haben und nicht durch eine überdurchschnittliche Gewichtung an anderer Stelle aufgewogen werden (AG Bielefeld VA 2011, 134; LG Frankfurt, Beschl. v. 25.5.2018 - 5/31 Qs 11/18).