1. Staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren und anschließendes OWi-Verfahren
Rz. 30
Die im Verkehrsrecht früher so umstrittene Frage, ob die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und die Abgabe der Sache an die Bußgeldbehörde zwei getrennte Gebührenansprüche auslöst, ist jetzt gesetzlich geregelt (§ 17 Abs. 10 RVG).
Damit ist die Rechtsprechung des BGH (AnwBl. 2010, 140), die in diesen Fällen die zusätzliche Gebühr des VV 4141 verweigerte, durch das Gesetz überholt. Der Gesetzgeber hat nämlich den Begriff "Verfahren" durch den des Strafverfahrens ersetzt. Damit ist klargestellt, dass das Strafverfahren losgelöst von dem anschließenden Bußgeldverfahren zu sehen ist und die Gebühr des VV 4141 auch dann anfällt, wenn die Sache anschließend als Bußgeldsache fortgeführt wird."
Der Verteidiger, der sowohl vor der Staatsanwaltschaft als auch vor der Bußgeldbehörde tätig ist, hat damit sowohl Anspruch auf die Gebühren des Strafverfahrens (VV 4100, 4104, 4141) als auch auf die des Bußgeldverfahrens (VV 5103 etc.).
Rz. 31
Die Grundgebühr fällt, wenn sowohl ein Straf- als auch ein Bußgeldverfahren wegen derselben Tat oder Handlung geführt wird, grundsätzlich nur einmal an, es sei denn das Verfahren wurde nach Einstellung der Strafsache als Bußgeldsache fortgeführt wie z.B. nach Einstellung des Verfahrens wegen Unfallflucht und Fortführung der Sache im Bußgeldverfahren mit dem Vorwurf abgefahrener Reifen. Dann fällt die Grundgebühr zweimal an (AG Nürnberg zfs 2006, 345; LG Aurich AGS 2011, 593).
2. Befriedungsgebühr
Rz. 32
Die Befriedungsgebühr (VV 4141, 5115) entspricht weitgehend dem früheren § 84 Abs. 2 BRAGO. Es wird deshalb bei den gleichen Streitpunkten bleiben, weshalb auf die noch unter Geltung der BRAGO hierzu ergangene Rechtsprechung verwiesen werden kann.
Achtung: Festgebühr?
Umstritten ist, ob es sich dabei um eine Festgebühr handelt (so z.B. OLG Hamburg AGS 2006, 439; KG AG kompakt 2011, 140; LG Saarbrücken NStZ-RR 2015, 264) oder um eine variable (so z.B. LG Leipzig, AGS 2010, 19; LG Oldenburg AGS 2011, 598; AG Neustadt Jur. Büro 2014, 531).
a) Strafsachen
aa) Anregung zur Verfahrenseinstellung
Rz. 33
Bereits die Anregung des Verteidigers, das Verfahren einzustellen, löst die Befriedungsgebühr aus (AG Waldbröl, Beschl. v. 8.12.2017 - 40 Ds - 225 Js 395/16 - 210/16).
bb) Verfahrenseinstellung in der Hauptverhandlung
Rz. 34
Die Zusatzgebühr nach VV 4141 Abs. 1 Nr. 1 fällt nicht an, wenn ein Strafverfahren in der Hauptverhandlung nach § 153a StPO eingestellt wird und nach Erbringung der Auflage die endgültige Einstellung erfolgt. Dabei spielt keine Rolle, ob die Einstellung am ersten Tag der Hauptverhandlung oder einem späteren Terminstag erfolgt.
Das Entstehen der Gebühr kann weder damit begründet werden, dass so Fortsetzungstermine vermieden wurden, noch damit, dass im Falle der Nichterfüllung der Auflage eine neue Hauptverhandlung anberaumt werden müsste (BGH zfs 2011, 525).
Achtung: Neuer Hauptverhandlungstermin
Wird dagegen die Hauptverhandlung durch Aussetzung des Verfahrens nicht zu Ende geführt, löst die später außerhalb einer neuen Hauptverhandlung erfolgte Einstellung die Gebühr aus (BGH zfs 2011, 525).
cc) Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 411 Abs. 1 S. 1 StPO
Rz. 35
Die Anmerkung Abs. 1 S. 2 Nr. 4 zu VV 4141 stellt das klar, was früher bereits Gerichte (AG Köln DV 2008, 29; AG Darmstadt AGS 2008, 344) entschieden hatten, nämlich dass, wenn der Einspruch gegen den Strafbefehl auf die Höhe der Tagessätze beschränkt wird und das Gericht deshalb antragsgemäß ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheidet, eine zusätzliche Gebühr anfällt.
dd) Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens
Rz. 36
Einer endgültigen Einstellung des Verfahrens steht auch die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 204 Abs. 1 StPO gebührenrechtlich gleich (AG Landstuhl zfs 1995, 471; LG Aurich StraFo 1997, 190; a.A. LG Koblenz AGS 1997, 5).
ee) Anklagerücknahme
Rz. 37
Die Gebühr fällt bereits dann an, wenn die Staatsanwaltschaft die Anklage zurücknimmt und das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einstellt (OLG Düsseldorf StraFo 1999, 68; LG Zweibrücken AGS 2002, 90).
ff) Rücknahme eines Strafbefehls
Rz. 38
Die Befriedungsgebühr entsteht auch dann, wenn aufgrund eines Gespräches des Verteidigers mit dem Staatsanwalt die Sache vereinbarungsgemäß mit einem Strafbefehl abgeschlossen wird.
b) Bußgeldverfahren
aa) Einstellung gemäß § 47 OWiG
Rz. 39
Eine auf § 47 Abs. 1 oder Abs. 2 OWiG gestützte Verfahrenseinstellung ist keine nur vorläufige Einstellung i.S.d. Befriedungsgebühr (LG Freiburg AnwBl 1998, 486).
bb) Rücknahme oder Korrektur durch die Verwaltungsbehörde
Rz. 40
Die Gebühr kann auch dann anfallen, wenn die Bußgeldbehörde den Bußgeldbescheid (endgültig) zurücknimmt (LG Schwerin zfs 2001, 35; AG Straußberg zfs 2002, 147) oder auf den Einwand des Verteidigers hin auf die gewünschte Höhe reduziert und das Verfahren damit zum Abschluss kommt (AG Freiburg zfs 2002, 298; AG Freiburg AGS 2003, 30).
cc) Einspruchsrücknahme bei der Bußgeldbehörde
Rz. 41
Die Befriedungsgebühr fällt immer dann an, wenn sich ein gerichtliches Verfahren durch die Zurücknahme des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid erledigt, d.h. also auch dann, wenn der Einspruch bereits bei der Bußgeldbehörde zurückgenommen wird (AG Essen zfs 1999, 308; AG Krefeld zfs 2000, 407).
dd) Achtung: Begründeter Einspruch mit Einstellungsantrag
Rz. 42
Reicht der Verteidiger bei Verwaltungsbehörde einen mit dem Antrag das Ve...