Dr. Heribert Heckschen, Dr. Matthias Kreußlein
Rz. 82
Eine weitere Möglichkeit zur Verbindung zweier selbstständiger Unternehmen ist die Eingliederung einer Tochter- in die Muttergesellschaft (sog. Hauptgesellschaft). Wirtschaftlich ist sie mit einer umwandlungsrechtlichen Verschmelzung vergleichbar, unterscheidet sich von dieser jedoch insofern, als die Selbstständigkeit der beteiligten Rechtsträger gewahrt bleibt. Mit wirksamer Eingliederung entsteht ein Konzernierungssachverhalt i.S.d. § 18 Abs. 1 Satz 2 AktG, der jedoch in Abgrenzung zu den Erscheinungsformen der §§ 291 f. AktG (und der Verschmelzung) nicht durch Vertrag begründet wird, sondern allein durch Beschluss der Hauptversammlungen der jeweils beteiligten Aktiengesellschaften.
Rz. 83
Mit der Eintragung der Eingliederung im Handelsregister erlangt die Hauptgesellschaft ein umfassendes und von den Schranken des § 308 AktG befreites Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand der eingegliederten Gesellschaft, § 323 Abs. 1 Satz 2 AktG. Einschränkungen können sich lediglich aus der Satzung und Schutzgesetzen ergeben (etwa § 15a InsO). Ein Beherrschungsvertrag muss nicht zusätzlich abgeschlossen werden. § 323 Abs. 1 Satz 3 AktG erklärt die §§ 311–319 AktG für unanwendbar. Das Weisungsrecht ermöglicht es der Hauptgesellschaft, das Vermögen der eingegliederten Gesellschaft vollständig abzuschöpfen. Beschränkungen ergeben sich auch nicht bei vorhandener Unterbilanz. Nach § 323 Abs. 2 AktG finden die §§ 57, 58 und 60 AktG keine Anwendung. Insbesondere existenzgefährdende und -vernichtende Weisungen sind zulässig. Auch die Rücklagenbildungspflicht ist aufgehoben, § 324 Abs. 1 AktG. Zur Wahrung der Gläubigerinteressen haftet die Hauptgesellschaft für Altverbindlichkeiten aber nunmehr als Gesamtschuldner, § 322 Abs. 1 AktG. Damit kommt es de facto und vor allem ohne Zustimmung der Gläubiger (und damit entgegen §§ 414, 415 BGB) zum Schuldnerwechsel, weshalb § 321 AktG es den Gläubigern gestattet, die Stellung von Sicherheiten zu verlangen. Eine Haftung als Gesamtschuldner besteht auch für nach der Eingliederung begründete Verbindlichkeiten, § 322 Abs. 1 Satz 2 AktG.
Rz. 84
Die Eingliederung setzt ein starkes Beherrschungs- bzw. Beteiligungsverhältnis voraus. Nach § 319 AktG kann eine 100 %ige Tochtergesellschaft in die Hauptgesellschaft eingegliedert werden. § 320 AktG erlaubt eine Eingliederung auch unterhalb der Schwelle zum Vollbesitz der Aktien, wenn die Hauptgesellschaft jedenfalls über 95 % der Aktien an der Tochtergesellschaft (sog. Mehrheitseingliederung) verfügt. Mit Eintragung der Eingliederung im Handelsregister erwirbt die Hauptgesellschaft die restlichen Anteile der Minderheitsgesellschafter kraft Gesetzes, § 320a AktG. Als Gegenleistung erhalten sie eine Beteiligung an der Hauptgesellschaft, § 320b AktG.
Rz. 85
Ein weiterer Unterschied zu den Unternehmensverbindungen der §§ 291 f. AktG ist der beschränkte persönliche Anwendungsbereich der Eingliederung. Nach § 319 Abs. 1 Satz 1. AktG können sich hieran nur AG/SE (vgl. dazu auch unter Rdn 66) beteiligen. Die Eingliederung einer KGaA ist nicht mit der persönlichen Haftung des Komplementärs zu vereinbaren. Es ist aber noch nicht abschließend geklärt, ob eine KGaA nicht wenigstens Hauptgesellschaft sein kann. Eine entsprechende Anwendung der Regelungen zur Eingliederung auf eine GmbH ist nicht möglich.
Rz. 86
Aus steuerlicher Perspektive führt die Eingliederung nicht ohne Weiteres zur Begründung einer steuerlichen Organschaft, auch wenn die Voraussetzungen einer finanziellen Eingliederung § 14 Abs. 1 Nr. 1 KStG zweifellos vorliegen. § 14 Abs. 1 Nr. 3 KStG verlangt nämlich außerdem den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages zwischen beiden Gesellschaften, auch wenn bereits auf Grundlage des Weisungsrechts eine umfassende Gewinnabschöpfung möglich ist. Mit Eintragung der Eingliederung ist der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages aber unter deutlich vereinfachten Bedingungen möglich. § 324 Abs. 2 Satz 1 AktG befreit etwa von dem Zustimmungserfordernis des § 293 AktG und dem Eintragungserfordernis des § 294 AktG. Von den §§ 293–303 AktG ist lediglich § 297 AktG anwendbar. Die Kündigung des Gewinnabführungsvertrages aus wichtigem Grund bleibt damit möglich, wird aber kaum in Betracht kommen, da dies allein steuerliche Konsequenzen hätte, aber die Hauptgesellschaft im Übrigen nach wie vor berechtigt ist, die Abführung des gesamten Gewinns zu verlangen. Nach § 324 Abs. 2 Satz 3 AktG kann nur der fiktive Bilanzgewinn abgeführt werden, der ohne Gewinnabführungsvertrag abgeführt werden könnte. Demnach können freie Rücklagen und auch ein Gewinnvortrag in den Bilanzgewinn einbezogen werden. Der Gewinn ist nicht einmal um den Verlustvertrag zu mindern, da § 301 AktG ausdrücklich keine Anwendung findet. Teilweise wird vertreten, dass trotzdem die Ausschüttungssperre des § 268 Abs. 8 HGB gilt. Durch Weisung kann die Hauptgesellschaft aber in jedem Fall die Abführung eines darüber hinausgehenden Betrages verlangen.