Dr. Heribert Heckschen, Dr. Matthias Kreußlein
Rz. 106
Neben dem Grundfall der Eingliederung lässt § 320 AktG auch eine Mehrheitseingliederung zu, wenn die Mutter- an der Tochtergesellschaft zu mindestens 95 % am Grundkapital beteiligt ist. Die Hauptversammlung der einzugliedernden Gesellschaft kann damit auch gegen den Willen der Minderheitsaktionäre eine Eingliederung beschließen.
Dem Ausschluss der Minderheitsaktionäre begegnen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Durch die Eingliederung gehen die Anteile der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär über, sodass dieser Alleingesellschafter der eingegliederten Gesellschaft wird. Die Minderheitsaktionäre verlieren also ihre Mitgliedschaft in der einzugliedernden Gesellschaft. Zur Kompensation für den Beteiligungsverlust erhalten sie Anteile an der Hauptgesellschaft, § 320b AktG. Als angemessen gilt ein Beteiligungsumfang, der den Aktionären bei einer alternativen Verschmelzung der beiden Gesellschaft gewährt werden müsste, § 320b Abs. 1 Satz 4 AktG. Ist die Hauptgesellschaft ihrerseits eine abhängige Gesellschaft (§ 17 AktG), können die ausgeschiedenen Aktionäre auch eine Barabfindung verlangen, § 320b Abs. 1 Satz 3 AktG. Sie haben insoweit ein Wahlrecht.
1. Voraussetzungen
Rz. 107
Neben den Voraussetzungen, die auch für den Grundfall der Eingliederung gelten (vgl. Rdn 89 ff.) müssen sich bei einer Mehrheitseingliederung mindestens 95 % der Aktien in der Hand der Hauptgesellschaft befinden.
2. Ablauf
Rz. 108
Ein Eingliederungsvertrag ist ebenso wie im Grundfall der Eingliederung nach § 319 AktG nicht notwendig.
a) Vorbereitung
aa) Ablauf wie im Grundfall
Rz. 109
Der Ablauf der Mehrheitseingliederung stellt sich grds. so dar, wie der Ablauf der Eingliederung einer 100 %igen Tochtergesellschaft in die Hauptgesellschaft (vgl. Rdn 91 ff.). Bei der Mehrheitseingliederung muss aber zusätzlich eine Prüfung vorgenommen werden.
bb) Prüfung
Rz. 110
Gem. § 320 Abs. 3 AktG ist die Eingliederung durch unabhängige Sachverständige zu prüfen. Die Prüfer werden auf Antrag des Vorstands der zukünftigen Hauptgesellschaft vom zuständigen Gericht bestellt. Die Prüfung kann unterbleiben, soweit alle Aktionäre durch öffentlich beglaubigte Erklärung auf die Prüfung verzichten (§§ 320 Abs. 3 Satz 3, 293a Abs. 3 AktG).
Prüfungsgegenstände sind die Eingliederung sowie der Eingliederungsbericht. Insb. muss der Prüfungsbericht Angaben zur Angemessenheit des Umtauschverhältnisses bzw. zur Barabfindung enthalten. Ein Urteil über die Zweckmäßigkeit der Eingliederung muss der Prüfungsbericht nicht enthalten.
cc) Vorabinformationen
Rz. 111
Neben den zum Grundfall genannten Unterlagen (vgl. Rdn 94), muss nach § 320 Abs. 4 Satz 1 AktG von der Einberufung der Hauptversammlung an und während der Hauptversammlung auch der Prüfungsbericht zur Einsicht der Aktionäre ausliegen.
dd) Einberufung zur Hauptversammlung
Rz. 112
Die Einberufung zur Hauptversammlung der einzugliedernden Gesellschaft muss wie üblich die Tagesordnung für die Hauptversammlung enthalten. Gem. § 320 Abs. 2 AktG muss die Bekanntmachung der Tagesordnung weitere Angaben enthalten. Die Bekanntmachung muss
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die Firma und den Sitz der zukünftigen Hauptgesellschaft und |
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eine Erklärung über den Umtausch der Aktien oder über eine Barabfindung |
enthalten.
b) Hauptversammlung
Rz. 113
Da an der einzugliedernden Gesellschaft auch Minderheitsaktionäre beteiligt sind, entfällt i.d.R. das Vollversammlungsprivileg. Der Auskunftsanspruch besteht in der Hauptversammlung ebenso wie im Grundfall der Eingliederung einer 100 %igen Tochtergesellschaft in die Hauptgesellschaft.
Der Eingliederungsbeschluss ist keine Satzungsänderung, §§ 320 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 319 Abs. 1 Satz 2 AktG. Ausreichend ist daher eine einfache Mehrheit bei der Beschlussfassung. Das kann dann relevant werden, wenn die Stimmberechtigung hinter der Kapitalbeteiligung von 95 % des Grundkapitals zurückbleibt (weil bspw. Höchststimmrechte vereinbart oder Vorzugsaktien ausgegeben wurden).
c) Vollzug
Rz. 114
Mit der Eintragung der Eingliederung in das Handelsregister der einzugliedernden Gesellschaft wird die Gesellschaft in die Hauptgesellschaft eingegliedert. Die Eintragung wirkt mithin konstitutiv, § 320 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 319 Abs. 7 AktG. Mit der Eintragung der Eingliederung gehen gem. § 320a AktG alle Aktien, die sich nicht in der Hand der Hauptgesellschaft befinden, auf diese über. Die eingegliederte Gesellschaft wird Einmann-AG. Der Übergang der Anteilsinhaberschaft vollzieht sich kraft Gesetzes.
Hinweis
Nach dem Vollzug der Eingliederung besteht für die durch die Eingliederung verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG) eine unwiderlegliche Konzernvermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 2 AktG).
Die ausgeschiedenen Aktionäre erhalten eine Abfindung für die Übertragung ihrer Anteile. Der Anspruch entsteht mit der Eingliederung der Gesellschaft. Für die Übertragung ihrer Anteile erhalten die Aktionäre i.d.R. Aktien der Hauptgesellschaft (§ 320b AktG). Die Hauptgesellschaft kann die Aktien durch eine Kap...