A. Bedeutung der Neufassung des Punktsystems
Rz. 1
Das bislang geltende Punktsystem hat sich als komplizierte und wenig durchschaubare Regelung erwiesen. Nachdem der 47. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2009 eine Vereinfachung empfohlen hat, wurde vom damaligen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der Gesetzentwurf für ein neues Punktsystem erarbeitet und vorgestellt. Ausdrücklich als Ziele der Neuregelung sind die Verbesserung der Verkehrssicherheit, eine verbesserte Transparenz und eine Vereinfachung des Systems genannt. Der Entwurf wurde auf dem 51. Deutschen Verkehrsgerichtstag 2013 erörtert und nahezu einstimmig abgelehnt. Insbesondere die Beibehaltung des Tattagprinzips und der damit verbundenen Überliegefrist sowie die fehlende Möglichkeit des Punkteabbaus durch Absolvieren freiwilliger Maßnahmen wurde kritisiert.
B. Keine Anwendung des Punktsystems bei sonstigen Zweifeln an charakterlicher Eignung
Rz. 2
Wie im bislang geltenden Recht muss nicht das Erreichen von bestimmten Maßnahmestufen abgewartet werden, um bei besonderen Auffälligkeiten die charakterliche Eignung zu hinterfragen. Rechtsgrundlage für die in solchen Fällen im Ermessen der Behörde stehende Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung ist § 11 Abs. 3 Nr. 4 bis 7 FeV. Liegt eine besonders schwerwiegende Auffälligkeit oder eine Häufung von Auffälligkeiten vor, dann kann es geboten sein, im Interesse der Verkehrssicherheit und zum Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer abweichend vom Punktsystem vor den Regelungen des Punktsystems einzugreifen (vgl. oben § 12 Rdn 5).
C. Punktebewertung
Rz. 3
Entsprechend der geringeren Punktezahl für die einzelnen Maßnahmenstufen werden die Zuwiderhandlungen mit einem bis drei Punkten belegt. § 4 Abs. 2 S. 2 StVG führt folgende Punktekategorien ein:
Verkehrsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten |
1 Punkt |
Verkehrssicherheitsbezogene Straftaten ohne Entzug der FE sowie besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten |
2 Punkte |
Verkehrssicherheitsbezogene Straftaten mit Entzug der FE bzw. Sperre für die Erteilung |
3 Punkte |
Rz. 4
Punkte werden für Verkehrsverstöße vergeben, für die eine Geldbuße von mindestens 60 EUR vorgesehen ist, wobei es sich um einen Verstoß gegen Vorschriften zum Schutz der Sicherheit im Straßenverkehr handeln muss. Die genaue Punktebewertung ist in der Anlage 13 zu § 40 FeV enthalten. Nur die dort ausdrücklich angegebenen Zuwiderhandlungen führen zu Punkten, die in das Fahreignungsregister eingetragen werden.
Mit einem Punkt sind z.B. Geschwindigkeitsüberschreitungen ab 16 km/h oder Abstandsverstöße, die zu keinem Fahrverbot führen, belegt. Mit zwei Punkten ist etwa eine Zuwiderhandlung gegen § 24a StVG (0,5 Promille-Grenze) bewertet wie auch Geschwindigkeits- und Abstandsverstöße, die nach der Bußgeldkatalog-Verordnung zu einem Fahrverbot führen. Keine Punkte werden für Verstöße vergeben, die keinen unmittelbaren Bezug zur Verkehrssicherheit haben, etwa Verstöße in einer Umweltzone oder Verstöße gegen eine Fahrtenbuchauflage. Allerdings ist zu konstatieren, dass im Gegenzug die Bußgelder deutlich erhöht wurden (z.B. Verstoß gegen Umweltzone: 80 EUR – neu: kein Punkt).
Rz. 5
Hinsichtlich Tateinheit und Tatmehrheit wurde keine zum alten System abweichende Regelung getroffen. Bei Tateinheit wird nur die Zuwiderhandlung mit der höchsten Punktzahl berücksichtigt (§ 4 Abs. 2 S. 4 StVG).
D. Entstehen von Punkten
Rz. 6
In § 4 Abs. 2 S. 3 StVG ist jetzt ausdrücklich für das Entstehen der Punkte auf den Tattag abgestellt, an dem die Zuwiderhandlung begangen wurde. Zwar entspricht das der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum vorangegangenen Punktsystem. Dadurch wird aber eine intransparente und komplizierte Bestimmungsmethode festgeschrieben. Insbesondere die "Überliegefrist" von einem Jahr bleibt weiter bestehen (§ 29 Abs. 6 S. 2 StVG).
Das bedeutet, dass sich das "Punktekonto" mit Begehung einer Zuwiderhandlung automatisch erhöht. Auch wenn die Auffälligkeit gar nicht bemerkt und erst wesentlich später (rechtskräftig) geahndet wird, sind die Punkte schon mit Begehung der Tat entstanden. Damit ist das für die Berechnung des Punktestandes komplizierte Nebeneinander von Tattagberechnung (für das Entstehen der Punkte) und Rechtskraftberechnung (für den Lauf der Tilgungsfrist) festgeschrieben. Fehler in der Praxis sind damit vorprogrammiert, die sich zulasten der Verkehrssicherheit auswirken können. Das Argument für diese Auffassung, dass möglichst früh auf den Verkehrsteilnehmer eingewirkt werden soll, überzeugt nicht. Denn in der Regel erfährt die Fahrerlaubnisbehörde erst nach rechtskräftigem Abschluss des Sanktionsverfahrens vom Punktestand und ergreift erst dann die vorgesehene Maßnahme. Im Vordergrund stand wohl die Befürchtung, dass ein Abstellen auf die Rechtskraft – was die Realität abbilden würde – zu dem vielfachen Versuch eines ...