I. Gegenstand der Rechtsschutzversicherung gem. § 125 VVG sowie § 1 ARB bzw. Nr. 1 ARB 2012

 

Rz. 107

"Das Wesen der Rechtsschutzversicherung besteht darin, dass der Rechtsschutzversicherer nach Eintritt eines Versicherungsfalls für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers, soweit sie notwendig ist, sorgt und die dem Versicherungsnehmer hierbei entstehenden Kosten trägt. Die Wahrnehmung rechtlicher Interessen ist notwendig, wenn sie hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint." So umschreibt § 1 Abs. 1 ARB 75 einprägsam den Gegenstand des Versicherungsschutzes in der Rechtsschutzversicherung. Diese Definition macht deutlich, dass die Rechtsschutzversicherung keine reine Kostenversicherung ist. Den Rechtsschutzversicherer trifft nicht nur eine Zahlungspflicht, sondern auch eine Sorgepflicht, zu der etwa seine Pflicht gehört, für den Versicherungsnehmer im Bedarfsfall einen Rechtsanwalt auszuwählen und zu beauftragen, wenn dies der Versicherungsnehmer nicht selbst tut oder es wünscht.

 

Rz. 108

§ 1 ARB 94/2000 beschreibt die Aufgaben der Rechtsschutzversicherung ähnlich, wenn auch unvollständig: "Der Versicherer sorgt dafür, dass der Versicherungsnehmer seine rechtlichen Inte­ressen wahrnehmen kann, und trägt die für die Interessenwahrnehmung erforderlichen Kosten (Rechtsschutz)." Es fällt auf, dass die grundsätzliche Voraussetzung für die Gewährung jeden Rechtsschutzes – nämlich, dass die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sein muss – in § 1 ARB 94 fehlt. Man findet einen Hinweis auf die Notwendigkeit der Interessenwahrnehmung lediglich in § 18 Abs. 1 a ARB; das dort im Einzelnen ­geregelte Schiedsgutachterverfahren ist einschlägig, wenn der Rechtsschutzversicherer den Rechtsschutz abgelehnt hat, weil der durch die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen voraussichtlich entstehende Kostenaufwand unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Versichertengemeinschaft in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg steht oder weil in den Fällen des § 2 a bis g ARB die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. In § 18 Abs. 1 a, b ARB wird also, wenn auch in etwas modifizierter Form, die Definition der notwendigen Wahrnehmung rechtlicher Interessen (§ 1 Abs. 1 S. 2 ARB 75) übernommen.

 

Rz. 109

Die Definition des Rechtsschutzes in § 1 ARB 2008 bzw. Nr. 1 ARB 2012 fasst in Übereinstimmung mit dem durch die VVG-Reform 2008 neu eingeführten § 125 VVG die Sorgeleistung und die Kostentragungspflicht allgemeiner unter dem Begriff der Leistungen dahingehend zusammen, dass "der Versicherer die für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers oder des Versicherten erforderlichen Leistungen im vereinbarten Umfang" erbringt.

II. Voraussetzungen des Rechtsschutzanspruchs – Einführung

 

Rz. 110

Die ARB sehen in den §§ 21 bis 29 insgesamt zehn verschiedene Formen des Versicherungsschutzes vor, die auf unterschiedliche Verhältnisse und Eigenschaften des Versicherungsnehmers abstellen und die einzeln oder mehrfach – je nach Bedarf – vereinbart werden können. So kann etwa der Nichtselbstständige den Privat- und Berufs-Rechtsschutz (§ 25 ARB) vereinbaren und zusätzlich zu diesem Rechtsschutz noch den Verkehrs-Rechtsschutz (§ 26 ARB). Glaubt der Versicherungsnehmer, darüber hinaus in seiner Eigenschaft als Mieter oder Grundstückseigentümer noch Rechtsschutz zu benötigen, kann er zusätzlich diesen Rechtsschutz gem. § 29 ARB vereinbaren. Nr. 2.1.1 ARB 2012 sieht demgegenüber im Sinne eines Bausteinprinzips acht "Lebensbereiche" entsprechend den bisherigen "Formen" des Rechtsschutzes (Privat-, Berufs-, Verkehrs-Rechtsschutz usw.) vor, für die Rechtsschutz vereinbart werden kann.

 

Rz. 111

Im Rahmen dieser Formen des Rechtsschutzes wird nicht für die Wahrnehmung aller in Betracht kommenden rechtlichen Interessen Rechtsschutz gewährt. Ein Rechtsschutzversicherungsvertrag dieses Inhalts wäre in der Praxis nicht realisierbar, die erforderlichen Prämien nicht zu bezahlen. Es müssen vielmehr die für die Praxis wichtigsten Rechtsgebiete ausgewählt und durch die Einführung bestimmter Risikoausschlüsse und Obliegenheiten versicherbar gemacht werden. Die Rechtsgebiete, für die in den verschiedenen Formen des Versicherungsschutzes Rechtsschutz gewährt wird, sind als "Leistungsarten" in § 2 ARB bzw. Nr. 2.2 ARB 2012 zusammengefasst, der durch die Risikoausschlüsse gem. § 3 ARB bzw. Nr. 3.2 ARB 2012 ergänzt wird.

 

Rz. 112

 

Hinweis

Der Rechtsanwalt, der ein möglicherweise unter den Rechtsschutz fallendes Mandat übernimmt, sollte zunächst – am besten durch Einsicht in den Versicherungsschein und die vereinbarten ARB – prüfen, welche Rechtsschutzform versichert ist. Geht es z.B. um eine Mietstreitigkeit und ist § 29 ARB nicht vereinbart, kann – vom seltenen Landwirtschafts-Rechtsschutz gem. § 27 ARB abgesehen – von vornherein kein Rechtsschutz bestehen. Fällt die Prüfung der versicherten Person in einer bestimmten versicherten Eigenschaft (z.B. Vermieter, Halter eines Kfz) positiv aus, ist zu klären, ob der konkrete Streitfall unter die Leistungsarte...

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