Rz. 462
Bei den Obliegenheiten des § 17 Abs. 3, 5 ARB sowie § 17 Abs. 8 ARB 2008 (neuere Fassung, vgl. Rdn 461) handelt es sich um Obliegenheiten, die nach dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen sind. Auch bei diesen Obliegenheiten ist die Aufhebung des "Alles-oder-Nichts-Prinzips" durch die Reform des VVG mit Wirkung vom 1.1.2008 für Neuverträge und Wirkung zum 1.1.2009 für Altverträge (vgl. Art. 1 EGVVG) zu beachten. Hinsichtlich der Leistungsfreiheit werden die vor und nach dem Versicherungsfall zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheiten gleichgestellt; bei beiden Arten tritt nicht mehr grundsätzlich vollständige Leistungsfreiheit des Rechtsschutzversicherers ein. Während in den ARB 2008 bereits die Neuregelungen der Reform des VVG umgesetzt sind, gehen bei Altverträgen ab dem 1.1.2009 auch hier die dem Versicherungsnehmer günstigeren Neuregelungen in § 28 Abs. 1–4 VVG den Regelungen der älteren ARB vor (vgl. § 32 S. 1 VVG).
Rz. 463
Nach neuem Recht hängen die Rechtsfolgen auch bei den nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegenheiten gem. § 17 Abs. 3 und 5 ARB sowie § 17 Abs. 8 ARB 2008 (neuere Fassung, vgl. Rdn 461) bzw. § 17 Abs. 6 ARB 2010 und Nr. 4.1.5 ARB 2012 vom Verschulden des Versicherungsnehmers bzw. Mitversicherten ab:
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wird die Obliegenheit vorsätzlich verletzt, besteht (wie in der Vergangenheit) vollständige Leistungsfreiheit (§ 17 Abs. 6 S. 1 sowie Abs. 8 S. 4 ARB 2008 bzw. § 28 Abs. 2 S. 1 VVG); |
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wird die Obliegenheit grob fahrlässig verletzt, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen (§ 17 Abs. 6 S. 2 sowie Abs. 8 S. 5 ARB 2008 bzw. § 28 Abs. 2 S. 2 VVG); |
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weist der Versicherungsnehmer nach, dass er die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt hat (also im Falle des lediglich leicht fahrlässigen oder schuldlosen Handelns), bleibt der Versicherungsschutz bestehen (§ 17 Abs. 6 S. 4 sowie Abs. 8 S. 5 ARB 2008 bzw. § 28 Abs. 2 VVG). |
Hinsichtlich der Beweislast gilt auch hier, dass das neue Recht beim Vorliegen einer objektiven Obliegenheitsverletzung von der Verschuldensvermutung der groben Fahrlässigkeit ausgeht, so dass der Versicherer Vorsatz, der Versicherungsnehmer bzw. Mitversicherte fehlendes Verschulden bzw. lediglich leicht fahrlässiges Handeln nachzuweisen hat (§ 17 Abs. 6 sowie Abs. 8 S. 5 ARB 2008 bzw. § 28 Abs. 2 VVG). Eine abweichende Beweislastverteilung zulasten des Versicherungsnehmers in Individualklauseln einzelner Rechtsschutzversicherer führt zur Gesamtunwirksamkeit.
Rz. 464
Dem Versicherungsnehmer bzw. Mitversicherten bleibt auch hier der sog. Kausalitätsgegenbeweis offen, d.h. im Falle des Nachweises, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung ursächlich war, bleibt die Leistungspflicht bestehen (§ 17 Abs. 6 S. 5 ARB 2008 bzw. § 28 Abs. 3 S. 1 VVG). Entsprechend der bereits nach § 17 Abs. 6 ARB 94/2000 geltenden (zugunsten des Versicherungsnehmers von § 6 Abs. 3 VVG a.F. abweichenden) Rechtslage ist der Kausalitätsgegenbeweis weiterhin auch im Falle des Vorsatzes möglich, nicht jedoch bei Arglist, welche der Versicherer zu beweisen hat (§ 17 Abs. 6 S. 6 ARB 2008 bzw. § 28 Abs. 3 S. 2 VVG).
Beispiel
Der Versicherungsnehmer erhebt Klage, ohne die Zustimmung des Rechtsschutzversicherers gem. § 17 Abs. 5 c aa ARB eingeholt zu haben. Eine Kausalität i.S.d. § 17 Abs. 6 S. 2 ARB ist nicht gegeben, wenn der Versicherungsnehmer nachweisen kann, dass der Rechtsschutzversicherer keinen Grund gehabt hätte, die Zustimmung zur Klageerhebung zu versagen.
Rz. 465
Anders nur die Regelung in § 17 Abs. 8 S. 4 ARB 2008 (neuere Fassung, vgl. Rdn 461) bzw. Nr. 4.1.8 ARB 2012, bei welcher der Versicherer die Kausalität zu beweisen hat, nämlich dass er durch den Verstoß des Versicherungsnehmers gegen die Mitwirkungspflicht nach übergegangenem Anspruch keinen Ersatz von dem Dritten erlangen kann.
Rz. 466
Im Rahmen der ARB 75 sah § 15 Abs. 2 ARB 75 eine Regelung der Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung vor, die § 6 Abs. 3 VVG a.F. entsprach. Im Gegensatz zu § 17 Abs. 6 S. 2 ARB trat nämlich Leistungsfreiheit des Rechtsschutzversicherers auch bei einer für den Rechtsschutzversicherer folgenlosen Obliegenheitsverletzung ein, wenn sie vorsätzlich erfolgt ist.
Rz. 467
Im Rahmen des § 15 Abs. 2 ARB 75 musste allerdings die vom BGH für die Kraftfahrtversicherung entwickelte sog. Relevanzrechtsprechung beachtet werden. Nach ihr kann sich der Versicherer auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher folgenloser Obliegenheitsverletzung nach dem Versicherungsfall nur berufen, wenn der Verstoß generell geeignet war, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, den Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden trifft und eine Belehrung des Versicherungsnehmers erfolgt ist. Diese Relevanzrechtsprechung ist grundsätzlich...