I. Begriff
Rz. 434
Obliegenheiten, die vor allem die Versicherungsnehmer, aber auch die Rechtsschutzversicherer zu erfüllen haben (z.B. § 128 S. 2 VVG), sind keine Rechtspflichten, deren Erfüllung klageweise erzwungen werden oder deren Verletzung zu einer Schadenersatzpflicht führen könnte. Bei den Obliegenheiten handelt es sich vielmehr um Verhaltensnormen, die der Versicherungsnehmer beachten muss, um seinen Versicherungsschutz nicht zu verlieren.
Rz. 435
Es gibt gesetzliche Obliegenheiten, die im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt sind, und vertragliche Obliegenheiten, die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der jeweiligen Versicherungszweige enthalten sind.
II. Gesetzliche Obliegenheiten
Rz. 436
Unter den in Betracht kommenden gesetzlichen Obliegenheiten sind die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 19 ff. VVG), die Gefahrstandspflicht (§ 11 Abs. 1, 3 ARB, §§ 23 ff. VVG) sowie die Pflicht zur Anzeige mehrfacher Versicherung (§ 77 VVG) zu erwähnen. Ihre Bedeutung für die Rechtsschutzversicherung ist allerdings gering.
III. Vertragliche Obliegenheiten
Rz. 437
Man unterscheidet vertragliche Obliegenheiten, die vor dem Versicherungsfall und die nach dem Versicherungsfall zu erfüllen sind. Verletzt sie der Versicherungsnehmer, ist dies folgenlos, wenn sich die Verletzungsfolge nicht aus den AVB ergibt. Als Verletzungsfolge kommt, dem Wesen der Obliegenheit entsprechend, vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit des Versicherers in Betracht. Diese kann aber nur unter bestimmten Voraussetzungen eintreten, wie sich aus § 28 VVG ergibt.
1. Vertragliche Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall
Rz. 438
Es kommen im verkehrsbezogenen Rechtsschutz (z.B. § 21 Abs. 8 ARB bzw. Nr. 4.2 ARB 2012) vor allem diese in Betracht:
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Führerscheinklausel, |
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Schwarzfahrtklausel, |
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fehlende Zulassung des Kraftfahrzeuges. |
Diese Obliegenheiten wenden sich an den Fahrer des Fahrzeugs, der mit dem Versicherungsnehmer identisch, aber auch nur eine mitversicherte Person sein kann. Man ist sich darüber einig, dass es sich hierbei trotz des etwas missverständlichen Wortlautes um Obliegenheiten handelt und nicht um Risikoausschlüsse.
Rz. 439
Im Einzelnen:
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Die vorgeschriebene Fahrerlaubnis fehlt nicht, wenn dem Fahrer lediglich ein Fahrverbot auferlegt worden ist. |
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Der Fahrer eines Fahrzeuges ist ein unberechtigter Fahrer, wenn die Fahrt ohne oder gegen den ausdrücklichen oder stillschweigenden Willen desjenigen durchgeführt wird, der selbstständig über die Benutzung des Fahrzeugs bestimmen kann. |
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Die Benutzung eines nicht zugelassenen oder nicht mit einem Versicherungskennzeichen versehenen Fahrzeugs ist einerseits Obliegenheitsverletzung, andererseits aber fehlende Leistungsvoraussetzung i.S.d. § 21 Abs. 1 S. 1 ARB u.Ä. Schirmer geht davon aus, dass eine Obliegenheitsverletzung nur vorliegt, wenn die ursprünglich gegebene Zulassung dadurch später entfällt, dass die Betriebserlaubnis durch Veränderungen am Fahrzeug (z.B. Leistungsveränderungen am Motor) erlischt. Die Leistungsvoraussetzung i.S.d. § 21 Abs. 1 S. 1 ARB u.Ä. ist dagegen dann nicht gegeben, wenn das Fahrzeug nicht oder nicht mehr auf den Versicherungsnehmer zugelassen ist. |
Rz. 440
Verletzt der Versicherungsnehmer oder eine mitversicherte Person (§ 15 Abs. 2 S. 1 ARB) diese Obliegenheiten, tritt seit der für Neuverträge zum 1.1.2008 und für Altverträge zum 1.1.2009 (vgl. Art. 1 EGVVG) in Kraft getretenen Reform des VVG, durch die das sog. "Alles-oder-Nichts-Prinzip" aufgehoben wurde, nicht mehr grundsätzlich vollständige Leistungsfreiheit des Rechtsschutzversicherers ein. Während in den ARB 2008 bereits die Neuregelungen der Reform des VVG umgesetzt sind, gehen bei Altverträgen ab dem 1.1.2009 die dem Versicherungsnehmer günstigeren Neuregelungen in § 28 Abs. 1–4 VVG den Regelungen der älteren ARB vor (vgl. § 32 S. 1 VVG).
Rz. 441
Nach neuem Recht hängen die Rechtsfolgen vom Verschulden des Versicherungsnehmers bzw. Mitversicherten ab:
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ist die Obliegenheitsverletzung schuldlos oder leicht fahrlässig begangen worden bzw. hatte die betreffende Person von dem Verstoß ohne Verschulden oder lediglich leicht fahrlässig keine Kenntnis, ist die Obliegenheitsverletzung folgenlos (§ 21 Abs. 8 S. 2, 4 ARB 2008, Nr. 4.2 ARB 2012 bzw. § 28 Abs. 2 VVG); |
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bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung bzw. Unkenntnis des Verstoßes ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen (§ 21 Abs. 8 S. 3 ARB 2008, Nr. 4.2 ARB 2012 bzw. § 28 Abs. 2 S. 2 VVG); |
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bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung bzw. Kenntnis vom Verstoß ist der Versicherer leistungsfrei (§ 21 Abs. 8 ARB 2008 bzw. § 28 Abs. 2 S. 1 VVG). |
Das neue Recht geht beim Vorliegen einer objektiven Obliegenheitsverletzung von der Verschuldensvermutung der groben Fahrlässigkeit aus. Das bedeutet, dass der Versicherer Vorsatz, der Versicherungsnehmer bzw. Mitversicherte fehlendes bzw. lediglich leicht fahrlässiges Verschulden nachzuweisen ha...