Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 7
Ist keine Zulassung erfolgt, kommt nur eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 Abs. 1 ZPO in Betracht. Diese setzt aber voraus, dass ein Beschwerdewert von 20.000,00 EUR überschritten ist (was oftmals nicht der Fall sein dürfte), § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Etwas anderes gilt nach § 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur dann, wenn das Berufungsgericht die Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO durch Urteil als unzulässig verworfen hat. Die Überprüfung in der Sache setzt allerdings stets voraus, dass ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 ZPO (bzw. § 574 Abs. 2 ZPO) existiert.
Rz. 8
In anderen Fällen mit geringerem Streitwert bleibt dem rechtssuchenden Mandanten nur die innerhalb von zwei Wochen einzulegende Gehörsrüge und eine ggf. anschließende Verfassungsbeschwerde; eine Verfahrensweise, welche nur in seltenen Fällen Erfolg haben dürfte.
Rz. 9
Liegt die Beschwer des bislang (teilweise) unterlegenen Mandanten aber über 20.000,00 EUR, ist dieser – am besten schriftlich und nachweisbar – über das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde zu belehren. Die Monatsfrist gemäß § 544 Abs. 3 S. 1 ZPO ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils (spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Urteilsverkündung) und eine entsprechende Vorfrist sind zu notieren, um für eine Vertretung vor dem BGH Sorge tragen zu können.
I. Rechtsschutzversicherter Mandant
Rz. 10
Empfehlenswert ist, frühzeitig abzuklären, ob der Mandant die Nichtzulassungsbeschwerde einlegen möchte. Ist dies beim rechtsschutzversicherten Mandanten der Fall, sollte umgehend eine Deckungsschutzanfrage eingeholt werden, damit die erforderliche, aber auch kostenauslösende Maßnahme der Beauftragung eines beim BGH zugelassenen Rechtsanwalts abgesichert ist.
II. Prozesskostenhilfeantrag zum BGH
Rz. 11
Ist der Mandant prozesskostenhilfebedürftig, kann der Instanzanwalt für ihn einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellen, denn für das Prozesskostenhilfeverfahren besteht selbst vor dem BGH kein Anwaltszwang. Bewilligt der BGH Prozesskostenhilfe, ordnet er dem Mandanten einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt bei. Gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde wird der BGH-Anwalt einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen. Eine Prozesskostenhilfebedürftigkeit stellt grundsätzlich ein nicht verschuldetes Hindernis zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde dar, solange eine Partei damit rechnen darf, ihrem Prozesskostenhilfeantrag würde entsprochen.
Rz. 12
Zu empfehlen ist daher, eine Entscheidung über den – ausschließlich zu stellenden – Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzuwarten. Abzuraten ist, zeitgleich auch das Rechtsmittel einzulegen, denn dies würde Gerichtsgebühren auslösen und die andere Partei berechtigen, ebenfalls einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen. Würde der BGH den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückweisen und infolgedessen dann auch eine gleichsam eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen werden, könnte der Prozessgegner gegen den Mandanten mit Erfolg Kostenerstattung beantragen.
III. Erfolgsaussichten für eine Nichtzulassungsbeschwerde
Rz. 13
Ähnlich wie bei der Revision ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren eine im Sinne des Mandanten positive Wendung des Verfahrens in der dritten Instanz eintritt, eher karg. Die entsprechende Statistik für das Jahr 2023 ist ernüchternd: Von den im Jahr 2023 beim BGH insgesamt 3.241 erledigten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gegen Urteile und Anträge auf Zulassung (§ 544 ZPO) und Nichtzulassungsbeschwerden gegen Beschlüsse (§§ 522 Abs. 3, 544 ZPO) wurden vom BGH insgesamt nur 422 Nichtzulassungsbeschwerden zugelassen, davon 203 Nichtzulassungsbeschwerden gegen Beschlüsse.
Eine Zurückweisung durch den BGH durch Beschluss (§ 544 Abs. 6 S. 1 ZPO) erfolgt meist formelhaft und begründungslos:
Zitat
"Der Senat hat bei seiner Entscheidung die Ausführungen der Nichtzulassungsbeschwerde in vollem Umfang zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Er hat das Vorbringen jedoch als nicht durchgreifend erachtet. Wenn das Gericht eine andere Rechtsauffassung einnimmt, als der Kläger sich dies wünscht, stellt diese keine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar (vgl. BVerfGE 64, 1, 12)."
Rz. 14
Dies soll allerdings nicht bedeuten, dass beim Vorliegen der Voraussetzungen von diesem Rechtsmittel abgesehen werden sollte. Im Gegenteil: Die beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte setzen sich mit Nachdruck für Rechtssuchende ein. Lediglich die Erfolgsaussichten sollten realistisch betrachtet werden.