1. Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens
Rz. 6
Der Verhandelnde (Vertreter, Vermittler, Sachwalter) – dies kann auch ein Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder eine Gesellschaft dieser Berufskreise sein – kann selbst für eine vorvertragliche Pflichtverletzung haften, wenn er – über das normale Verhandlungsvertrauen hinaus – in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und der Verhandlungsgegner ihm dieses entgegengebracht hat. Dadurch muss der Gehilfe eine zusätzliche, von ihm persönlich ausgehende Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen und damit für das Gelingen des angebahnten Geschäfts geboten haben, die den Willensentschluss des anderen Teils beeinflusst hat.
Rz. 7
Die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens durch einen Sachwalter setzt voraus, dass dieser entweder an den Vertragsverhandlungen selbst beteiligt ist oder in deren Rahmen mit einem Anspruch auf Vertrauen hervortritt; dafür genügt es, dass der Sachwalter die Verhandlungen durch einen anderen für sich führen lässt und ggü. dem Verhandlungspartner als diejenige Person erscheint, von deren Entscheidung der Vertragsschluss abhängt.
Rz. 8
Ein solches Vertrauen, das von der Person des Verhandelnden ausgeht, kann – nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls – begründet werden durch
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außergewöhnliche Sachkunde für den Gegenstand des angestrebten Vertrages, |
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besondere persönliche Zuverlässigkeit, |
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eigenen Einfluss – etwa als finanzieller Sachwalter – auf die Abwicklung des künftigen Vertrages. |
Dementsprechend haftet ein Wirtschaftsprüfer, der im Rahmen eines Kapitalanlagemodells pflichtwidrig in seinen Prüftestaten die Ordnungsmäßigkeit des Geldflusses und der Mittelverwendung bestätigt, späteren Anlegern wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht aus Verschulden bei Vertragsschluss, wenn diese im Vertrauen auf die Richtigkeit früherer Testate Geldanlagen vorgenommen haben und der Wirtschaftsprüfer damit rechnen musste.
Ein allgemeiner Hinweis des Verhandlungsgehilfen auf seine Sachkunde reicht i.d.R. für eine Eigenhaftung nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn ein Angestellter die genannten Eigenschaften aufweist.
Rz. 9
Sonderfälle der Vertrauenshaftung unterliegen der Prospekthaftung im engeren und weiteren Sinne (vgl. § 14 Rdn 1 ff.).
2. Eigenes wirtschaftliches Interesse
Rz. 10
Ein Verhandlungsgehilfe (Vertreter, Vermittler, Sachwalter) kann wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten auch dann selbst haften, wenn er an dem angestrebten Geschäft ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse hat, das so stark ist, dass es demjenigen des Geschäftsherrn vergleichbar ist, sodass der Gehilfe aus wirtschaftlicher Sicht gleichsam in eigener Sache verhandelt hat.
Rz. 11
Dafür reicht das normale Geschäfts-, Entgelt- oder Provisionsinteresse eines Angestellten, Prokuristen, Handelsvertreters, Geschäftsführers oder Gesellschafters einer GmbH oder eines Versicherungsagenten, das nur ein mittelbares Interesse am Verhandlungserfolg begründet, nicht aus.
Sagt dagegen der Verhandlungsgegner dem Verhandlungsführer des anderen Teils eine "Provision" ("Schmiergeld") zu für den Fall, dass es zum Vertragsschluss kommt, darf der Vertreter ohne Aufklärung des Vertretenen im Zweifel keinen Vertrag mit dem bestechenden Verhandlungspartner schließen; wird der vom bestochenen Verhandlungsvertreter ausgehandelte Vertrag nicht von diesem, sondern vom vertretenen Geschäftsherrn selbst abgeschlossen, liegt zumindest ein Verschulden bei Vertragsschluss ggü. dem Geschäftsherrn vor, dem die Schmiergeldzahlung verheimlicht wird. Einer solchen Haftung kann auch ein Auftragnehmer unterliegen, der seinen Auftraggeber im Rahmen vorvertraglicher Verhandlungen nicht darüber aufklärt, dass er dem künftigen Baubetreuer des Auftraggebers eine Provision zugesagt hat.