a) Beispiele wichtiger Obliegenheiten
Rz. 76
Als wichtige Obliegenheiten nach dem Eintritt des Versicherungsfalls sind zu nennen:
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Anzeigeobliegenheiten, § 7 I Abs. 2, II Abs. 2, Abs. 3 AKB bzw. E.1.1, E.1.2, E.2.1, E.2.3 AKB 2008 |
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Aufklärungsobliegenheit, § 7 I Abs. 2 S. 3 AKB bzw. E.1.3 AKB 2008 |
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Schadenminderungspflicht, § 7 I Abs. 2 S. 3 AKB bzw. E.1.4 AKB 2008 |
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Versicherer ist Prozessführung zu überlassen, § 7 II Abs. 5 bzw. E.2.4 AKB 2008 |
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Kaskoversicherung: "Wiederinstandsetzungsverbot" (Weisungen des Versicherers sind einzuholen), § 7 III AKB bzw. E.3.2 AKB 2008. |
Rz. 77
Das in § 7 II Abs. 1 der bisherigen AKB enthaltene Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot, welches allerdings nur für konstitutive und deklaratorische Anerkenntnisse, nicht jedoch für Erklärungen mit lediglicher Beweislastfunktion galt (BGH VersR 1984, 383), ist durch den neuen § 105 VVG im Rahmen der VVG-Reform 2008 ersatzlos weggefallen.
Rz. 78
Hinweis
Es ist darauf hinzuweisen, dass eine Beratungspflichtverletzung vorliegt, wenn der Rechtsanwalt ohne Belehrung des Mandanten über die Prozessführungsbefugnis des Haftpflichtversicherers einfach das Passivmandat des Versicherten annimmt (BGH VersR 1985, 83). Dies kommt in der Praxis leider immer wieder vor und ist auch deshalb besonders problematisch, weil selbst im Obsiegensfall die Kosten der Vertretung des Versicherten durch einen eigenen Anwalt nicht als notwendige Prozesskosten anerkannt werden (BGH VersR 2004, 622; OLG Brandenburg VersR 2010, 274; OLG Köln zfs 1984, 107; OLG München zfs 1984, 13).
Auch das in der Kaskoversicherung geltende Wiederinstandsetzungsverbot bzw. die Pflicht, zuvor entsprechende Weisungen des Versicherers einzuholen (welche auch für die Restwertveräußerung gilt), wird in der Praxis immer wieder übersehen.
b) Aufklärungsobliegenheit
Rz. 79
Die in der Praxis entscheidende Obliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls ist die Aufklärungsobliegenheit gem. § 7 I Abs. 2 AKB bzw. E.1.3 AKB 2008.
aa) Wichtige Fallgruppen
Rz. 80
Ein Verstoß gegen die Aufklärungsobliegenheit kommt insbesondere bei folgenden Fallgruppen in Betracht:
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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort |
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Beseitigung von Unfallspuren, Nachtrunk (OLG Karlsruhe zfs 1997, 139) |
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Falschangaben nach dem Versicherungsfall. |
bb) Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
Rz. 81
Grundsätzlich hängt das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort von der Strafbarkeit gem. § 142 StGB ab. Danach besteht auch bei eindeutiger Haftungslage eine Wartepflicht, z.B. bei einem Unfall mit einem parkenden Fahrzeug (BGH VersR 2000, 222), da sich das Aufklärungsinteresse des Versicherers auch auf das Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 81 VVG oder anderweitiger Obliegenheitsverletzungen bezieht. Bei einem erlaubten Entfernen vom Unfallort und nachträglicher Mitteilung an den Versicherer zu einem Zeitpunkt, zu dem gem. § 142 Abs. 2 StGB eine Mitteilung an den Geschädigten eine Strafbarkeit noch hätte verhindern können, liegt keine Aufklärungsobliegenheitsverletzung vor (BGH v. 21.11.2012 – IV ZR 97/11 – VersR 2013, 175 = zfs 2013, 91 = DAR 2013, 79).
Es wird die Auffassung vertreten, wonach in der Fassung des E.1.3 AKB 2008 eine eigenständige versicherungsrechtliche Wartepflicht vereinbart sein soll, welche unabhängig von der Strafbarkeit des § 142 StGB bestehen und über diese hinausgehen soll (OLG Stuttgart zfs 2015, 96; OLG Frankfurt am Main r+s 2016, 70; KG r+s 2016, 73; Prölss/Martin-Knappmann, VVG, AKB 2008 D Rn 21; Makowsky, JR 2014, 165; Tomson/Kirmse, VersR 2013, 177), sodass der Versicherungsnehmer unter Umständen bis zum Eintreffen der Polizei oder sogar unbegrenzt warten müsste, selbst wenn kein Fremdschaden entstanden ist. Diese Auffassung übersieht jedoch, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH Versicherungsbedingungen entsprechend dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen sind. Dieser wird auch bei der Formulierung gem.E.1.3 AKB 2008 den Bezug zur Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erkennen und daher nicht davon ausgehen, dass von ihm versicherungsrechtlich mehr verlangt wird als strafrechtlich. Dementsprechend ist auch bei der Obliegenheit des E.1.3 AKB 2008 davon auszugehen, dass eine Aufklärungspflichtverletzung nur bei Erfüllung des Straftatbestandes des § 142 StGB vorliegt (OLG Hamm r+s 2018, 423; OLG Saarbrücken r+s 2016, 287; OLG München zfs 2016, 274; Maier, r+s 2016, 64; Rixecker, zfs 2015, 99; Staudinger/Friesen, DAR 2014, 757).
In den neuesten Bedingungen (E.1.1.3 AKB 2015) ist eine Klarstellung dahingehend erfolgt, dass die Obliegenheit ausdrücklich an die Strafbarkeit gem. § 142 StGB gekoppelt ist. Insoweit ist geklärt, dass die neuen AKB 2015 keine versicherungsvertragliche Pflicht zur Ermöglichung nachträglicher Feststellungen im Sinne des § 142 Abs. 2 StGB (nach erlaubtem Entfernen vom Unfallort) enthalten (OLG Celle zfs 2019, 393; OLG Dresden VersR 2019, 349).
Rz. 82
Keine Wartepflicht besteht lediglich bei einem ausschließlichen Schaden am eigenen Fahrzeug oder Leasingfahrzeug mangels Fremdschadens (OLG Hamm VersR 1998, ...