Rz. 106
Vor der VVG-Reform 2008 hatte der BGH die bis dahin in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung streitige Frage entschieden, wie mit den in den AKB vereinbarten Höchstbeträgen der Leistungsfreiheit umzugehen ist, wenn mehrere Obliegenheitsverletzungen begangen werden. Nach der Rechtsprechung des BGH galt danach (BGH zfs 2006, 94 = VersR 2005, 1720 = r+s 2006, 100 = DAR 2006, 86):
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Bei mehreren Verletzungen jeweils innerhalb der Gruppe der Obliegenheitsverletzungen vor oder nach dem Versicherungsfall bleibt es bei dem einfachen jeweils geltenden Höchstbetrag von 2.500 EUR bzw. 5.000 EUR. |
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Bei mehreren Obliegenheitsverletzungen in beiden Gruppen (vor und nach dem Versicherungsfall) erfolgt eine Addition der jeweils in beiden Gruppen anwendbaren Höchstbeträge, sodass sich ein maximaler Höchstbetrag der Leistungsfreiheit von 10.000 EUR ergeben kann. |
Rz. 107
Fraglich ist aufgrund der durch die VVG-Reform 2008 in § 28 Abs. 2 und 3 VVG erfolgten Gleichstellung der Voraussetzungen der Leistungsfreiheit bei den Obliegenheitsverletzungen vor und nach dem Versicherungsfall, ob die Differenzierung des BGH nach neuem Recht noch gerechtfertigt ist. Gegen die Differenzierung spricht, dass die seinerzeitige völlig unterschiedliche Regelung der Voraussetzungen der Leistungsfreiheit in § 6 Abs. 1 und 2 VVG a.F. bei Obliegenheitsverletzungen vor dem Versicherungsfall einerseits sowie § 6 Abs. 3 VVG a.F. bei Obliegenheitsverletzungen nach dem Versicherungsfall andererseits weggefallen ist. Für die Differenzierung spricht jedoch die Argumentation des BGH in der genannten Entscheidung, welche allein auf die Auslegung der AKB abstellt. Danach betrachte der durchschnittliche Versicherungsnehmer die Klauseln in den §§ 2b und 7 AKB getrennt voneinander und erkenne, "dass es sich bei ihnen um Regelungen handelt, die selbstständig nebeneinander stehen und unterschiedliche Sachverhalte erfassen" (BGH a.a.O.).
Rz. 108
Da auch die bereits nach neuem Recht gestalteten AKB 2008 – trotz der hinsichtlich der Leistungsfreiheit einheitlichen gesetzlichen Regelung – weiterhin in den Teilen D und E die "Pflichten beim Gebrauch des Fahrzeugs" (Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall) und "Pflichten im Schadenfall" (Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall) sowie die jeweiligen Sanktionen nebst Höchstbeträgen völlig getrennt voneinander regeln, dürfte die Entscheidung des BGH auf die neue Rechtslage zu übertragen sein, sodass weiterhin von einer Addition bei Obliegenheitsverletzungen in beiden Gruppen auszugehen ist (OLG Celle VersR 2012, 754; r+s 2014, 59; OLG Frankfurt VersR 2015, 1246; Prölss/Martin-Klimke, VVG, § 5 KfzPflVV Rn 17; ebenso Nugel, Kürzungsquoten, § 1 Rn 61).