Rz. 308

Da § 86 VVG für die gesamte Schadensversicherung – und damit auch für die Rechtsschutzversicherung – gilt, ist auch das Quotenvorrecht gem. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG anwendbar. Dies führt dazu, dass im Falle der Erstattungen von Dritten zunächst der Versicherungsnehmer hinsichtlich der ihm persönlich entstandenen Kosten zu befriedigen ist, bevor der Rechtsschutzversicherer den Forderungsübergang gem. § 86 Abs. 1 VVG geltend machen kann. Voraussetzung ist lediglich, dass es sich bei den dem Versicherungsnehmer entstandenen Kosten und den Leistungen des Rechtsschutzversicherers um kongruente Kosten handelt.

 

Rz. 309

Kongruent sind nach der Rechtsprechung des BGH (BGH VersR 1982, 283) grundsätzlich sämtliche Schäden, die ihrer Art nach dem vertragstypischen Risiko entsprechen, also nicht nur die im konkreten Fall tatsächlich versicherten Schäden, wie bereits aus dem Bereich der Kaskoversicherung bekannt ist (vgl. oben § 6 Rdn 13 ff.).

 

Rz. 310

Da die Rechtsschutzversicherung grundsätzlich die Kosten der Rechtsverfolgung durch den Versicherungsnehmer abdeckt (vgl. § 1 ARB), ist davon auszugehen, dass sämtliche dem Versicherungsnehmer persönlich entstehenden Rechtsverfolgungskosten kongruent zu den Leistungen des Rechtsschutzversicherers sind (vgl. im Einzelnen Schneider, Rechtsschutzversicherung für Anfänger, Rn 476 ff.).

Beispiele:

die Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers (Harbauer-Schneider, § 17 ARB 2010 Rn 173);
Reisekosten des Rechtsanwalts, die gebührenrechtlich entstehen, jedoch vom Rechtsschutzversicherer bedingungsgemäß nicht zu tragen sind (Harbauer-Schneider, § 17 ARB 2010 Rn 173);
Kosten eines Unterbevollmächtigten bzw. Terminsvertreters, die gebührenrechtlich entstehen, jedoch vom Rechtsschutzversicherer jedenfalls nicht vollständig zu tragen sind (vgl. unten Rdn 354);
Parteiaufwendungen des Versicherungsnehmers, z.B. Fahrtkosten zum Gerichtstermin.
 

Rz. 311

 

Beachte

Das bedeutet, dass z.B. bei einer Unfallschadenregulierung der Mandant aus der Anwaltskostenerstattung des gegnerischen Haftpflichtversicherers zunächst seine Selbstbeteiligung erstattet erhält. Um einen Forderungsübergang gem. § 86 VVG und damit überhaupt erst einen Anwendungsfall des Quotenvorrechts gem. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG zu erreichen, ist zu empfehlen, weitest möglich vom Rechtsschutzversicherer gem. § 9 RVG entsprechende Vorschüsse anzufordern. Dann erhält am Ende bei der Unfallschadenregulierung der Rechtsschutzversicherer in der Regel Kosten zurück, und der Anwalt befindet sich in der prozessual günstigen Passivsituation, falls der Versicherer meint, er habe weitere Erstattungsansprüche.

 

Rz. 312

Aufgrund der Differenztheorie des Quotenvorrechts können durchaus unterschiedliche Kostenarten (z.B. erstattete Gerichtskosten mit nicht versicherten Reisekosten) zu verrechnen sein (AG Wetzlar AGS 2007, 115, 116). Soweit N. Schneider in einer ablehnenden Anmerkung (AGS 2007, 116, 118; ebenso LG Heilbronn AGS 2016, 104; AG Kempten AGS 2011, 363) eine abweichende Auffassung vertritt, verkennt er, dass auch Ansprüche auf Erstattung von Gerichtskosten als kongruente Ersatzansprüche i.S.d. § 86 Abs. 1 VVG übergehen, da auch sie "dem Ausgleich der die Versicherungsleistung auslösenden Vermögenseinbuße" dienen, welche bereits durch die Zahlung des fälligen Gerichtskostenvorschusses eingetreten ist.

 

Rz. 313

 

Tipp

Sobald eine Kostenerstattung erfolgt (sei es aufgrund einer Kostenausgleichung gem. § 106 ZPO oder aufgrund einer Rückzahlung nicht verbrauchter Gerichtskostenvorschüsse), sind gebührenrechtlich entstandene Reisekosten (z.B. des sog. Simultananwalts, der seine Kanzlei nicht unmittelbar am Gerichtsort hat) oder nicht vollständig bedingungsgemäß zu erstattende zusätzliche Kosten eines Unterbevollmächtigten/Terminsvertreters abzurechnen und aufgrund des Quotenvorrechts zunächst von den erstatteten Kosten auszugleichen. Nur der verbleibende Rest steht dem Rechtsschutzversicherer gem. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG zu.

 

Rz. 314

Das Quotenvorrecht ist nicht nur bei Kostenerstattungen relevant, sondern kann auch bei Teilleistungen des Gegners eine Rolle spielen. Leistet der Gegner bei offener (dem Versicherungsnehmer persönlich zustehender) Hauptforderung und (dem Rechtsschutzversicherer zustehender) Kostenforderung ohne eine Tilgungsbestimmung, so ist aufgrund des Gedankens des Quotenvorrechts trotz der zwingenden Verrechnung gegenüber dem Schuldner (im Außenverhältnis) gem. § 367 Abs. 1 BGB im Innenverhältnis eine Verrechnung zunächst auf die dem Versicherungsnehmer zustehende Hauptforderung vorzunehmen (OLG Hamm VersR 2000, 1101).

 

Rz. 315

 

Hinweis

Liegt ein gegenwärtig nicht vollstreckbarer Titel – z.B. ein Kostenfestsetzungsbeschluss – vor, der auch dem Versicherungsnehmer zustehende Kosten enthält (z.B. festgesetzte, jedoch bedingungsgemäß nicht zu erstattende Reisekosten des Anwalts), besteht kein Recht des Rechtsschutzversicherers, den Titel heraus zu verlangen. Selbst wenn der dem Versicherungsnehmer zustehende Teil verhältnismäßig gering s...

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