Rz. 155

Felsch hat sich in seinem Vortrag anlässlich des Symposiums der ARGE Versicherungsrecht des DAV am 29.9.2007 (veröffentlicht in r+s 2007, 485 ff.) mit den denkbaren Parametern beschäftigt, die bei der Quotenbildung eine Rolle spielen können. Aufgrund des Umstandes, dass Felsch Mitglied des für das Versicherungsrecht zuständigen IV. Zivilsenats des BGH ist, wird dessen Ausführungen große Bedeutung beigemessen. Allerdings sind zum Teil eher aus dem Strafrecht bekannte Sichtweisen nicht zu verkennen, was sich möglicherweise mit der beruflichen Vergangenheit des Autors als Mitglied eines Strafsenats erklären lässt.

 

Rz. 156

Im Folgenden wird daher auf die Kriterien eingegangen, welche Felsch in seinem vorgenannten Aufsatz zur Diskussion gestellt hat. Auszugehen ist hierbei stets vom Gesetzeswortlaut, welcher allein von der Schwere des Verschuldens spricht. Jegliches berücksichtigungsfähige Kriterium muss sich daher unter die "Schwere des Verschuldens" subsumieren lassen. Es handelt sich bei den nachfolgend genannten Kriterien lediglich um eine Diskussionsgrundlage. Die Berücksichtigung weiterer Aspekte wird dadurch selbstverständlich nicht ausgeschlossen (vgl. zum Stand der Diskussion im Einzelnen Nugel, Kürzungsquoten, § 1 Rn 127 ff.).

aa) Einzelne Kriterien

 

Rz. 157

Zunächst dürfte das objektive Gewicht der Sorgfaltsverletzung zweifellos ein geeignetes Verschuldenskriterium darstellen. So lädt nach Felsch schwerere Schuld auf sich, wer durch einen Rotlichtverstoß einen Menschen tötet als derjenige, der durch grobe Fahrlässigkeit den Diebstahl seines Fahrrades verursacht (im "Goslarer Orientierungsrahmen", zfs 2010, 12, auch als "normative Vorprägung" durch andere Rechtsgebiete bezeichnet, zustimmend Nugel, Kürzungsquoten, § 1 Rn 129).

 

Rz. 158

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Gewicht zwar verletzter, jedoch nicht konkret versicherter Rechtsgüter sicherlich keine Rolle spielen kann. Geht es um die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Vollkaskoversicherung, in der allein der Pkw versichert ist, kann daher die Verletzung weiterer Rechtsgüter (wie des Lebens anderer Personen) keine Rolle spielen. Für den Vollkaskoversicherer und bezogen auf das dort allein versicherte Risiko macht es keinen Unterschied, ob bei dem Unfall weitere Personen oder Sachen geschädigt wurden.

 

Rz. 159

 

Hinweis

Die Verletzung weiterer, nicht im konkreten Versicherungsvertrag versicherter Rechtsgüter hat bei der Schwere des Verschuldens eines Verstoßes außer Betracht zu bleiben.

 

Rz. 160

Fraglich ist, inwieweit es der Rechtsprechung gelingen wird, für typische Sorgfaltspflichtverletzungen feste Quoten zu bilden. So wird gelegentlich die Vorstellung geäußert, für typische Verkehrsverstöße könne dies ähnlich dem Bußgeldkatalog oder der Schmerzensgeldtabelle möglich sein. So hat der Arbeitskreis IV des 46. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2008 (Empfehlung Nr. 5) sehr weit gehend empfohlen, dass bei jeglicher groben Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit alkoholbedingter oder drogenbedingter Fahruntüchtigkeit eine vollständige Leistungsversagung (Leistungskürzung auf null) erfolgen soll. Gerade bei geringen Promillewerten im Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit (bereits ab 0,3 ‰ denkbar) erscheint eine Leistungskürzung auf Null allerdings als unvertretbar.

 

Rz. 161

Bei allem Verständnis für eine im Interesse der Verkehrssicherheit liegende weitest mögliche Verhinderung von Fahrten unter Alkoholeinfluss ist die neue Gesetzessystematik nicht außer Acht zu lassen, wonach bei grober Fahrlässigkeit lediglich eine Leistungskürzung vorzunehmen ist. Selbst wenn man die Kürzung auf null für schwere Fälle als zulässig erachtet, kann nicht ohne jede Differenzierung auch der Fall der "leichtesten" groben Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit Alkohol zum vollständigen Leistungswegfall führen. Hier dürfte es sich eher anbieten, entsprechend dem Promillewert eine Abstufung der Leistungskürzung vorzunehmen. Die Empfehlung des 46. VGT deutlich relativierend hat inzwischen der "Goslarer Orientierungsrahmen" (zfs 2010, 12) lediglich bei absoluter alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit eine Kürzung auf null (bestätigend BGH v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 – VersR 2011, 1037) und im Übrigen eine Staffelung nach Promillewerten vorgesehen. Die jüngste Entscheidung des BGH (Urt. v. 11.1.2012 – IV ZR 251/10 – VersR 2012, 341) bestätigt zwar eine vorgenommene Leistungskürzung auf null in einem Fall absoluter Fahruntüchtigkeit (2,10 Promille), betont aber den Ausnahmecharakter und die erforderliche umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalles. Daraus lässt sich schließen, dass der BGH nicht davon ausgeht, dass stets beim Überschreiten des Grenzwertes zur sog. absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 Promille) eine Leistungskürzung auf null gerechtfertigt ist.

 

Rz. 162

Ob es tatsächlich möglich sein wird, entsprechend einem Bußgeldkatalog oder einer Schmerzensgeldtabelle typische Quoten zu entwickeln, erscheint mehr als fraglich. Wegen der Vielzahl der zu berücksichtigenden Umstände ...

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