1. Monatsfrist zur Wiederauffindung entwendeter Gegenstände
Rz. 250
Eine Besonderheit besteht beim Diebstahl darin, dass gem. § 13 Abs. 8 AKB eine Rücknahmepflicht des Versicherungsnehmers besteht, falls entwendete Gegenstände innerhalb eines Monats nach Eingang der Schadenanzeige wieder "zur Stelle gebracht" werden. A.2.10.1 AKB beschränkt diese Pflicht auf das Wiederauffinden des Fahrzeugs, enthält also keine Rücknahmepflicht bei sonstigen "entwendeten Gegenständen".
Rz. 251
Voraussetzung für die Rücknahmepflicht ist, dass der Versicherungsnehmer das Fahrzeug mit objektiv zumutbaren Anstrengungen innerhalb der Monatsfrist übernehmen kann, sodass eine Mitteilung des Versicherers über das Wiederauffinden innerhalb der Monatsfrist nicht ausreichend ist (BGH VersR 1982, 135). Diese Einschränkung der Rechtsprechung ist in A.2.10.1 AKB 2008 nunmehr ausdrücklich aufgenommen worden.
Rz. 252
Im Falle des Wiederauffindens in einer Entfernung von über 50 km zahlt der Versicherer gem. § 13 Abs. 8 S. 2 AKB bzw. A.2.10.2 AKB 2008 für die Abholung die Eisenbahnfahrt zweiter Klasse bis zu einer maximalen Entfernung von 1.500 km. Im Falle des Wiederauffindens des Fahrzeugs nach Fristablauf wird es gem. § 13 Abs. 8 S. 2 AKB bzw. A.2.10.3 AKB 2008 Eigentum des Versicherers.
Rz. 253
Die Wirkung einer freiwilligen Fahrzeugrücknahme durch den Versicherungsnehmer nach Fristablauf ist durch Auslegung zu bestimmen (BGH VersR 1999, 1104).
2. Beweisführung beim Diebstahl
Rz. 254
Ein Diebstahl geschieht i.d.R. unbeobachtet, sodass der Versicherungsnehmer mit klassischen Beweismitteln keinen Vollbeweis führen kann (regelmäßig keine Zeugen oder überführte Täter). Aufgrund dieser Beweisnot sind durch die Rechtsprechung Beweiserleichterungen anerkannt worden, die allerdings eng mit der Redlichkeit des Versicherungsnehmers verknüpft sind.
a) Zwei-Stufen-Modell
Rz. 255
So hat die Rechtsprechung ein Zwei-Stufen-Modell entwickelt (BGH VersR 1992, 999; VersR 1993, 571). Danach gilt:
1. |
Der Versicherungsnehmer muss auf der ersten Stufe lediglich einen Sachverhalt beweisen, der nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines Versicherungsfalls erschließen lässt. |
2. |
Der Versicherer muss sodann Tatsachen beweisen, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass der Versicherungsfall vorgetäuscht ist. |
Rz. 256
Nach dem Zwei-Stufen-Modell sind folglich für beide Seiten Beweiserleichterungen vorgesehen:
▪ |
Der Versicherungsnehmer muss nur ein Minimum an Umständen beweisen, die auf eine Entwendung schließen lassen. |
▪ |
Der Versicherer muss nicht den vollen Gegenbeweis erbringen, sondern nur die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung. |
Rz. 257
Die Beweisanforderungen an den Versicherer sind allerdings höher, da er die "erhebliche" Wahrscheinlichkeit (für die Vortäuschung) beweisen muss, während der Versicherungsnehmer lediglich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit (das äußere Bild) beweisen muss. Gelingt es dem Versicherer, auf der zweiten Stufe den Beweis der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Versicherungsfalles zu erbringen, entfällt die Beweiserleichterung, und der Versicherungsnehmer muss den Vollbeweis erbringen, der ihm regelmäßig nicht gelingt.
b) Beweis des äußeren Bildes durch den Versicherungsnehmer (erste Stufe)
Rz. 258
Zum Beweis des äußeren Bildes gehört typischerweise, dass der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt hat, an dem er es später – gegen seinen Willen – nicht wieder aufgefunden hat (BGH VersR 1995, 909; VersR 2002, 431; OLG Dresden zfs 2018, 635). Dieser "Minimalsachverhalt" ist grundsätzlich voll zu beweisen; eine Diebstahlanzeige bei der Polizei reicht hierfür nicht aus (BGH VersR 1993, 571; OLG Saarbrücken VersR 2020, 28). Vorrangig hat der Beweis mittels Zeugen zu erfolgen (BGH VersR 1997, 733). Die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers ist bei der Möglichkeit des Beweises des äußeren Bildes durch Zeugen zunächst (auf der ersten Stufe) ohne Bedeutung (BGH VersR 1999, 1535).
Rz. 259
Nur bei Beweisnot kommt eine Parteianhörung des Versicherungsnehmers gem. § 141 ZPO in Betracht (BGH VersR 1991, 917; VersR 1996, 575). Im Rahmen des Beweises durch den Versicherungsnehmer selbst gilt zunächst eine Redlichkeitsvermutung. Diese kann erschüttert werden bei ernsthaften Zweifeln an der Redlichkeit aus feststehenden Umständen; bloße Verdachtsmomente reichen hierfür nicht aus (BGH VersR 1991, 917).
Rz. 260
Solche Umstände sind z.B.:
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der Versicherungsnehmer war bereits in Schadenfälle mit betrügerischem Hintergrund verwickelt (OLG Koblenz r+s 1995, 205); |
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der Versicherungsnehmer hat Schadenbelege manipuliert (OLG Hamm VersR 1985, 382); |
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der Versicherungsnehmer macht Falschangaben über Vorschäden, Tatzeit, Fahrzeugschlüssel (z.B. BGH r+s 1996, 325). |
c) Bedeutung der Vorlage der Originalschlüssel
Rz. 261
Immer wieder wird es von Versicherern problematisiert, wenn der Versicherungsnehmer nicht sämtliche Originalschlüssel vorlegen kann oder sich an den vorgelegten Schlüsseln Kopierspuren finden.
Beispiel
Der Versicherungsnehmer verlangt Ersatz für die von ihm behauptete Entwendung seines Porsches 944. Den angeblichen Diebstahl hatte er bei der Poli...