A. Vorbemerkung
Rz. 1
Bereits durch das Dritte Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaft (3. Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) hatte sich eine schwerwiegende Veränderung des Kfz-Haftpflichtversicherungsrechts ergeben.
Rz. 2
Den einzelnen Versicherungsunternehmen wurde ab dem 1.7.1994 ein größerer Spielraum bei der Ausgestaltung ihrer allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) eingeräumt. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten die AVB der Versicherer durch die Versicherungsaufsichtsbehörde (seinerzeit BAV, inzwischen BaFin) genehmigt werden.
Rz. 3
Seit dem 1.7.1994 kann die Versicherungsaufsichtsbehörde bei der Überprüfung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen nur noch im Wege der Missbrauchsaufsicht vorgehen.
Rz. 4
Im Bereich der Kaskoversicherung sind die Versicherer in ihrer Bedingungsgestaltung somit absolut frei.
Rz. 5
Dagegen ist für den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung der dem einzelnen Versicherungsnehmer zu gewährende Mindest-Versicherungsschutz durch die Bestimmungen der Kfz-Pflichtversicherungsverordnung (KfzPflVV) vom 29.7.1994 geregelt worden.
Rz. 6
Während die seinerzeitigen Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (AKB 1993) noch der Versicherungsaufsicht und Genehmigungspflicht unterlagen, handelt es sich bei den späteren Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (ab AKB 1996) nur noch um unverbindliche Empfehlungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) an seine Mitgliedsunternehmen (sog. Musterbedingungen). Abweichende Vereinbarungen sind möglich und zulässig.
Rz. 7
Beachte
Bei der Bearbeitung eines versicherungsrechtlichen Mandats ist es deshalb unerlässlich, sich vom Mandanten die seinem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen vorlegen zu lassen, um den konkret vereinbarten Versicherungsumfang zuverlässig feststellen zu können.
Rz. 8
Durch das VVG 2008 sind grundlegende Änderungen des Versicherungsrechts erfolgt, insbesondere die bereits seit langem geforderte Abschaffung des bisherigen "Alles-oder-nichts-Prinzips". Eingeführt wurde ein (quotales) Leistungskürzungsrecht des Versicherers bei grob fahrlässigen Vertragsverstößen des Versicherungsnehmers, während eine vollständige Leistungsfreiheit nur noch bei Vorsatz in Betracht kommt.
Rz. 9
Das neue VVG findet grundsätzlich Anwendung für Neuverträge seit dem 1.1.2008 und für Altverträge seit dem 1.1.2009. Eine Vielzahl von Versicherern hat allerdings erklärt, auch bei Altverträgen bereits auf alle ab dem 1.1.2008 eintretenden Versicherungsfälle das neue Recht anzuwenden. Aus diesem Grunde beschränkt sich die nachfolgende Darstellung zukunftsweisend ausschließlich auf das neue Recht. Bei "Altfällen" ist ggf. die zahlreiche bisherige Literatur heranzuziehen.
Rz. 10
Im Zuge der VVG-Reform 2008 ist auch eine Anpassung der AKB an das neue Recht erfolgt. Die neuen AKB 2008 (Musterbedingungen) unterscheiden sich vom Aufbau grundlegend von den bisherigen AKB. Während bisher eine gesetzesähnliche Gliederung in §§ erfolgt ist, hat man sich nunmehr für Teile A bis N mit jeweiliger numerischer Untergliederung entschieden (A.1.2 usw.). Es wurde versucht, die Bedingungen verständlicher zu gestalten. Ob das gelungen ist, wird die Praxis zeigen. Seit den AKB 2008 werden regelmäßig vom GDV neue Fassungen der Musterbedingungen veröffentlicht, inzwischen bis zu den AKB 2015, jedoch mit jeweils verhältnismäßig wenigen Änderungen.
Rz. 11
In der nachfolgenden Darstellung werden jeweils die Vorschriften sowohl in der Systematik der bisherigen AKB als auch in der Systematik der neueren AKB ab 2008 zitiert, da die alten AKB noch auf lange Zeit den (vor dem 1.1.2008 abgeschlossenen) Versicherungsverträgen zugrunde liegen werden. Zudem haben eine Reihe von Versicherern die Systematik der alten AKB beibehalten.
B. Vertragsschluss
Rz. 12
Wie jeder andere Vertrag auch, kommt der Versicherungsvertrag durch Angebot und Annahme zustande. Das bedeutet im Versicherungsrecht, dass ein Versicherungsantrag gestellt und daraufhin ein Versicherungsschein ausgefertigt und ausgehändigt worden sein muss.
Interessant ist insoweit eine jüngste Entscheidung des Familiensenats des BGH, wonach der Abschluss und die Kündigung einer Vollkaskoversicherung als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie im Sinne des § 1357 Abs. 1 S. 1 BGB auch durch den Ehegatten des Versicherungsnehmers erfolgen kann (BGH DAR 2018, 329).
I. Beratungs- und Informationspflichten vor Vertragsschluss
Rz. 13
Durch das neue VVG soll das bisher überwiegend praktizierte sog. Policenmodell (§ 5a VVG a.F.) abgeschafft werden, bei dem der Versicherungsnehmer erst mit der Übersendung der Versicherungspolice die Versicherungsbedingungen sowie die erforderlichen Verbraucherinformationen erhielt. Nunmehr ist der Versicherungsnehmer rechtzeitig vor Abgabe seines Versicherungsantrages umfassend nach seinen individuellen Verhältnissen zu beraten (§ 6 VVG) und er ist vollständig über den Inhalt des vorgesehenen Versicherungsvertrages zu informieren (§ 7 VVG), nämlich durch e...