Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 84
In der Rechtsprechung zeigt sich eine breite Kasuistik, wann eine vertretbare und wann eine unvertretbare Handlung anzunehmen sein soll. Gekennzeichnet sind alle Entscheidungen von dem Grundsatz, dass immer die konkreten Umstände des Einzelfalles ausschlaggebend sind. Nachfolgend soll eine an der praktischen Relevanz orientierte Auswahl vorgestellt werden, die die Abgrenzung im Einzelfall erleichtern, aber nicht ersetzen kann. Auch bei der Heranziehung der zitierten Rechtsprechung ist immer die Vergleichbarkeit der Sachverhalte im Einzelnen zu klären.
Rz. 85
Checkliste: Unvertretbare Handlungen
Eine unvertretbare Handlung wurde in folgenden Fällen angenommen:
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Annahme einer Leistung als Erfüllung |
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Auskunftserteilung über die Erfüllung der Pflichten als Wohnungseigentumsverwalter |
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Auskunft über Schenkungen des Erblassers |
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Auskunft über Nachlassbestand |
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Auskunft aus Büchern/Geschäftsunterlagen verbunden mit einer ausdrücklichen Vollständigkeitserklärung |
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Auskunft über getätigte Verkäufe, auch von verbundenen Unternehmen |
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Verpflichtung zur Auskunftserteilung, soweit diese nicht nur in der Vorlage auch Dritten zugänglicher Urkunden und sonstiger Belege besteht und auch nicht von Dritten durch Einsichtnahme in solche Unterlagen erteilt werden kann |
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Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes |
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Vorlage einer Bilanz |
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Verurteilung des Vermieters, dem Mieter Zutritt zu den Mieträumen zu verschaffen durch Aushändigen von Schlüsseln oder Wiedereinbau der alten Schlösser |
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Einreichung einer Gesellschafterliste gem. § 40 GmbHG |
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Erstellung von Arbeitspapieren, insbesondere eines qualifizierten Arbeitszeugnisses HinweisSind die Arbeitspapiere dagegen allein herauszugeben, so erfolgt die Zwangsvollstreckung nach § 883 ZPO. |
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Erstellung einer Lohn- und Gehaltsabrechnung (streitig) |
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Erteilung einer Urlaubsbescheinigung |
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Erteilung einer Sachverständigenbescheinigung nach einer Energieberatung zur Bewilligung von Fördermitteln |
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Verpflichtung zum Abdruck einer Annonce eines Dritten gegenüber einer Zeitung als Schuldnerin |
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Benennung des Begünstigten einer Lebensversicherung |
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Dienstleistungen höherer Art, die die höchstpersönliche geistige, künstlerische oder wissenschaftliche Befähigung voraussetzen |
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Erstellung der Jahresrechnung durch den WEG-Verwalter im Einzelfall |
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Erstellung einer Nebenkostenabrechnung, da auch hierfür die entsprechenden Abrechnungsunterlagen erforderlich sind |
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Ausstrahlung eines Werbespots Ermittlung des Wertes eines zum Endvermögen gehörenden Gegenstandes |
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Erstellung eines Nachlassverzeichnisses, auch eines notariellen Nachlassverzeichnisses |
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Erteilung einer Prozessvollmacht an einen Rechtsanwalt |
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Mängelbeseitigungsansprüche gegen den Vermieter einer Eigentumswohnung, wenn die Mängelbeseitigung Arbeiten am Gemeinschaftseigentum voraussetzen und hierüber zunächst die Eigentümergemeinschaft zu beschließen hat |
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Mitwirkung an der Vornahme einer gemeinschaftlichen Handlung, wie insbesondere der Abgabe einer Steuererklärung (siehe hierzu ausführlich § 8 – Steuererstattungsansprüche) oder einer Klageerhebung |
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Hinterlegung von Wertpapieren zur Sicherung eines Nacherben |
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Vorlage eines Steuerbescheids |
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Verpflichtung zum Betrieb eines Ladenlokals |
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Verpflichtung der Mutter eines nichtehelichen Kindes auf Nennung des Namens des leiblichen Vaters |
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Verpflichtung zur Übertragung einer Internetdomain |
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Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers |
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Widerruf einer unrichtigen Tatsachenbehauptung, wenn der Urteilstenor hierzu einzelne Handlungsanweisungen enthält |
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Zugangsgewährung zum Benutzerkonto eines sozialen Netzwerks |
Rz. 86
Ungeachtet der Frage, dass jeweils eine unvertretbare Handlung vorliegt, ist eine Durchsetzung der Verpflichtung im Wege der Zwangsvollstreckung nach § 888 Abs. 3 ZPO dann ausgeschlossen, wenn es sich bei der Verpflichtung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag handelt. Die Vollstreckung der früheren Verpflichtung zur Eingehung der Ehe und zur Herstellung der ehelichen Gemeinschaft wird in § 888 Abs. 3 ZPO nicht mehr erwähnt. Insoweit fehlt es inzwischen bereits an einer titulierbaren Verpflichtung.
Rz. 87
Hinweis
Hinsichtlich der Verpflichtung zur Leistung von Diensten betrifft dies aber nur die Fälle, in denen der Dienstleistung ein personales Element innewohnt. Einfache Dienste, welche auch ein Dritter erbringen könnte, werden nach § 887 ZPO im Wege der Ersatzvornahme vollstreckt.
Rz. 88
Unter analoger Anwendung von § 888 Abs. 3 ZPO sind über den Wortlaut hinaus, alle Verpflichtungen zur Vornahme einer unvertretbaren Handlung nicht vollstreckbar, die einen Verstoß gegen Grundrechte darstellen würden, was insbesondere für die Verpflichtung zur Teilnahme an religiösen Handlungen oder die Verpflichtung zur einseitigen oder zweiseitigen Erbeinsetzung eines Dritten zutrifft.