1. Überblick
Rz. 70
Die §§ 20 und 21 RVG regeln drei Fälle der Verweisung bzw. Abgabe und der Zurückverweisung. Insoweit gilt Folgendes:
▪ |
Wird ein Verfahren an ein anderes Gericht derselben Instanz abgegeben oder verwiesen (sog. Horizontalverweisung), liegt stets nur eine einzige Angelegenheit vor (Fall des § 20 S. 1 RVG) (siehe Rdn 72 ff.). |
▪ |
Wird die Verweisung erst vom Rechtsmittelgericht ausgesprochen (sog. Diagonalverweisung), wird dagegen eine neue selbstständige Angelegenheit ausgelöst (Fall des § 20 S. 2 RVG) (siehe Rdn 74 ff.). |
▪ |
Wird die Sache von einem Rechtsmittelgericht an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen (sog. Vertikalverweisung), so ist das Verfahren nach Zurückverweisung eine neue Angelegenheit (Fall des § 21 Abs. 1 RVG) (siehe Rdn 76 ff.). Hier können also drei Angelegenheiten vorliegen, nämlich
▪ |
das Ausgangsverfahren, |
▪ |
das Rechtsmittelverfahren und |
▪ |
das Verfahren nach Zurückverweisung. |
▪ |
In Verfahren nach Teil 3 VV ist dabei allerdings die Anrechnungsbestimmung der Vorbem. 3 Abs. 6 VV zu berücksichtigen. Die Verfahrensgebühr des Verfahrens vor Zurückverweisung wird auf die Verfahrensgebühr des Verfahrens nach Zurückverweisung angerechnet, wenn an ein Gericht zurückverwiesen wird, das mit der Sache bereits befasst war. |
|
Eine Sonderregelung findet sich in § 21 Abs. 2 RVG für Scheidungsverfahren (siehe § 28 Rdn 351).
Rz. 71
Übersichtlich lassen sich die Regelungen der §§ 20 und 21 RVG an folgendem Beispiel mit einem Ablaufschema deutlich machen:
Beispiel
Die Klage wird beim LG eingereicht.
a) |
Das LG verweist die Sache an das FamG (Horizontalverweisung nach § 20 S. 1 RVG). |
b) |
Das LG erlässt ein Urteil. Das OLG hebt das Urteil auf und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück (Vertikalverweisung nach § 21 Abs. 1 RVG). |
c) |
Das LG erlässt ein Urteil. Das OLG hebt das Urteil des LG auf und verweist die Sache an das zuständige Familiengericht (Diagonalverweisung nach § 21 Abs. 1 RVG) |
2. Verweisung und Abgabe an ein Gericht derselben Instanz (Horizontalverweisung)
Rz. 72
Verweist ein Gericht an ein anderes Gericht derselben Instanz, so zählen nach § 20 S. 1 RVG das Verfahren vor dem abgebenden und dem empfangenden Gericht als eine Angelegenheit. Das Gleiche gilt im Falle einer Abgabe. Die Gebühren entstehen nur einmal (§ 15 Abs. 2 RVG).
Beispiel 41: Verweisung
Es wird Klage auf Zahlung von 10.000,00 EUR vor dem ArbG erhoben. Das ArbG verweist die Sache an das zuständige LG, vor dem dann die mündliche Verhandlung stattfindet.
Es liegt nach § 20 S. 1 RVG nur eine Angelegenheit vor. Der Anwalt erhält die Gebühren nur einmal.
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
798,20 EUR |
|
(Wert: 10.000,00 EUR) |
|
|
2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
|
736,80 EUR |
|
(Wert: 10.000,00 EUR) |
|
|
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.555,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
295,45 EUR |
Gesamt |
|
1.850,45 EUR |
Rz. 73
Wird in eine andere Gerichtsbarkeit verwiesen, kann es dazu kommen, dass andere Wertvorschriften anzuwenden sind. Es bleibt dann zwar bei einer Angelegenheit; die Gebühren nach Verweisung richten sich aber nach einem anderen Gegenstandswert.
Beispiel 42: Verweisung, unterschiedliche Wertvorschriften
Nach Kündigung eines Anstellungsvertrages wird vor dem LG auf Feststellung des Fortbestands des Anstellungsverhältnisses geklagt (Jahreseinkommen: 120.000,00 EUR). Das LG verweist die Sache ohne mündliche Verhandlung an das ArbG. Dort wird verhandelt.
Insgesamt liegt nur eine Angelegenheit vor (§ 20 S. 1 RVG). Vor dem LG richtet sich der Gegenstandswert gem. § 42 Abs. 1 GKG nach dem dreifachen Jahreswert. Für das Verfahren vor dem ArbG gilt dagegen § 42 Abs. 2 GKG. Maßgebend ist hier nur das Quartalseinkommen in Höhe von 40.000,00 EUR. Die Terminsgebühr entsteht daher nur nach dem geringeren Wert.
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
3.914,30 EUR |
|
(Wert: 360.000,00 EUR) |
|
|
2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
|
1.340,40 EUR |
|
(Wert: 40.000,00 EUR) |
|
|
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
5.274,70 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
1.002,19 EUR |
Gesamt |
|
6.276,89 EUR |
3. Verweisung an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs (Diagonalverweisung)
Rz. 74
Wird an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen, so gilt § 20 S. 2 RVG. Das weitere Verfahren vor dem Empfangsgericht gilt als neue Angelegenheit, auch gegenüber dem vorangegangenen Verfahren. Eine Anrechnung ist hier im Gegensatz zu § 21 Abs. 1 RVG nicht vorgesehen.
Beispiel 43: Verweisung an ein untergeordnetes Gericht
Es wird Klage (Wert: 10.000,00 EUR) vor dem LG erhoben. Das LG entscheidet durch Urteil. Das OLG hebt auf die Berufung das Urteil des LG auf und verweist die Sache auf den jetzt hilfsweise gestellten Verweisungsantrag an das zuständige FamG, vor dem dann erneut verhandelt wird.
Da das OLG nicht an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen hat, liegt kein Fall des § 21 Abs. 1 RVG vor, sondern ein Fall des § 20 S. 2 RVG. Das weitere Verfahren vor dem FamG ist eine neue Angelegenheit, in der alle Gebühren anrechnungsfrei erneut entstehen.
I. |
Erste Instanz vor dem LG |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
798,20 EUR |
|
(We... |