Walter Krug, Dr. Christopher Riedel
1. Grundsätzliches
Rz. 94
Unter einem Vorausvermächtnis versteht man die vermächtnisweise Zuwendung eines Gegenstandes oder Rechtes an einen der Miterben oder den Alleinerben. Will der Erblasser einen bestimmten Bedachten gegenüber den übrigen Miterben wertmäßig besser stellen, dann kann er dies durch Anordnung eines Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) erreichen (vgl. im Einzelnen § 12 Rdn 8 ff.).
Rz. 95
Die Anordnung von Vorausvermächtnissen kann sowohl zugunsten von Miterben als auch zugunsten von Alleinerben erfolgen. Letzterem wird durch die Vermächtnisanordnung eine zusätzliche, von der Erbenstellung losgelöste Rechtsposition eingeräumt. Die Vermächtnisanordnung gilt hier in der Regel auch für den Fall, dass er die Erbschaft ausschlägt. Nimmt der mit dem Vorausvermächtnis bedachte Alleinerbe die Erbschaft an, wirkt das ihm zugewandte Vermächtnis (ausnahmsweise) dinglich; eine Vermächtniserfüllung ist daher nicht nötig.
Ist der Vorausvermächtnisnehmer nur Miterbe, kann ihm durch die Vermächtnisanordnung das alleinige Eigentum an bestimmten Nachlassgegenständen, beispielsweise einem Familienheim i.S.v. § 13 Nr. 4b bzw. 4c ErbStG, zugewendet werden.
2. Vorausvermächtnis an den Vorerben
Rz. 96
Nach § 2110 Abs. 2 BGB scheidet der Gegenstand eines zugunsten eines Vorerben angeordneten Vorausvermächtnisses – vorbehaltlich abweichender Anordnungen des Erblassers – mit dem Anfall bzw. der Erfüllung des Vermächtnisses aus der Vorerbenbindung aus. Der Vorerbe kann also über den Gegenstand frei verfügen. Eine Herausgabepflicht gegenüber dem Nacherben (§§ 2130, 2138 BGB) besteht nicht.
Rz. 97
Dem Vorerben können auch alle (oder beinahe alle) von der Vorerbschaft umfassten Gegenstände in dieser Weise zugewendet werden; auf diese Weise kann im Ergebnis eine gesetzlich nicht vorgesehene gegenständlich beschränkte Vor- und Nacherbschaft erreicht werden.
Rz. 98
Allerdings ist § 2110 Abs. 2 BGB nur eine Auslegungsregelung, von der der Erblasser auch abweichen kann. Möchte der Erblasser entgegen der Auslegungsregelung erreichen, dass sich die Nacherbenbindung auch auf den Gegenstand eines Vorausvermächtnisses erstreckt, kann er Entsprechendes anordnen. Dann ist nicht etwa ein Nachvermächtnis (§ 2191 BGB) anzunehmen, sondern vielmehr, dass die dingliche Vorerbenbindung bestehen bleiben soll. Solche Anordnungen können sinnvoll sein, wenn einem von mehreren Vorerben gegenüber seinen Mit-Vorerben durch die Zuweisung des Vermächtnisgegenstands privilegiert werden soll. Eine Besserstellung gegenüber dem oder den Nacherben tritt aber gerade nicht ein.