Rz. 38

Der Fall, dass der überlebende Ehepartner auf der einen Seite Alleinerbe des Nachlasses wird und auf der anderen Seite aber das Vermögenssorgerecht für den minderjährigen Abkömmling hat, ist in der Praxis häufig anzutreffen. Wie oben dargelegt (siehe Rdn 36 f.), wird im Rahmen einer gegenseitigen Erbeinsetzung kaum einem Ehepartner das Vermögenssorgerecht für minderjährige Abkömmlinge entzogen (dies allenfalls dann, wenn Eheleute geschieden sind). Das Interesse der Ehepartner geht vielmehr dahin, dass Kinder im Falle des zuerst Versterbenden keine Pflichtteilsansprüche geltend machen. Da es sich bei der Frage der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs selbst nicht um ein Rechtsgeschäft handelt, scheidet auch ein Ausschluss der Vertretungsmacht kraft Gesetzes nach den §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 2, 181 BGB aus.[71]

 

Rz. 39

Fraglich ist allerdings, inwieweit dem überlebenden Elternteil aufgrund des offensichtlich bestehenden Interessengegensatzes seitens des Gerichts das Vertretungsrecht entzogen werden kann (§§ 1629 Abs. 2, 1796 BGB).[72] Trotz Vorliegens eines Interessengegensatzes wird eine Entziehung der Vertretungsmacht des überlebenden Elternteils nur dann zu bejahen sein, wenn die Interessenkollision nach § 1796 BGB erheblich ist.[73] Nicht ausreichend ist hingegen, dass der Pflichtteilsanspruch verjähren könnte, was damit begründet wird, dass die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres beginnt (§ 207 BGB).[74] Die Frage, ob dem überlebenden Ehepartner die Vertretungsmacht hinsichtlich der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs entzogen werden soll, ist aufgrund einer Einzelfallabwägung dahingehend zu entscheiden, ob eine Gefährdung der Kindesinteressen vorliegt.

 

Rz. 40

Das Familiengericht muss insoweit insbesondere abwägen, ob nach dem bisherigen Verhalten des gesetzlichen Vertreters dieser in der Lage sein wird, den Pflichtteilsanspruch des Minderjährigen nach dessen Volljährigkeit zu erfüllen.[75] Kommt das Familiengericht zu dem Entschluss, dass ein Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB für die Geltendmachung und Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs bestimmt werden soll, muss es zuvor dem überlebenden Elternteil als gesetzlichen Vertreter die Vertretungsmacht entziehen (§§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB).[76]

 

Rz. 41

 

Praxishinweis

Fraglich ist, wie das Familiengericht von dem Erbfall und dem Vorhandensein minderjähriger Kinder Kenntnis erlangt. In den seltensten Fällen wird nämlich der überlebende Ehepartner das Familiengericht hiervon selbst informieren. Nach § 356 Abs. 1 FamFG ist jedoch das Nachlassgericht verpflichtet, dem Familiengericht Mitteilung über eventuelle Pflichtteilsansprüche von minderjährigen Kindern zu machen, sofern diese einen Wert von 15.000 EUR übersteigen. Das Familiengericht wird dann zu entscheiden haben, ob ihm die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nach § 1640 BGB genügt oder ob ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist.[77]

[71] BayObLG FamRZ 1963, 578; BayObLG FamRZ 1962, 36.
[72] MüKo-BGB/Lange, § 2317 Rn 13.
[73] Palandt/Götz, § 1796 Rn 2.
[74] Palandt/Götz, § 1796 Rn 2.
[75] Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, Rn 77 ff.
[76] BayObLG FamRZ 1963, 578; Staudinger/Herzog, § 2317 Rn 80; Soergel/Dieckmann, § 2317 Rn 7.
[77] Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, Rn 73 ff.

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